Frage oder Antwort, Haupt- oder Nebensatz – nicht nur die Wörter, sondern auch die Betonung bestimmen die Bedeutung eines Satzes. Wie sich die beiden Hirnhälften austauschen, um die Grammatik und die Prosodie, die Sprachmelodie, in Beziehung zu setzen, haben jetzt Wissenschaftler bestimmt. Wie sie in der Fachzeitschrift „Neuron“ berichten, spielt dabei der hintere Teil des „Balkens“, einem Faserbündel zwischen den Gehirnhälften, eine entscheidende Rolle als „Vermittlungsstelle“.
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Wenn das Gehirn Sprache verarbeitet, spielen dem kognitiven Modell der Sprachverarbeitung zufolge zwei Dinge eine Rolle: die Grammatik und die Prosodie, die Sprachmelodie. Für das Verständnis eines Satzes ist es nicht nur wichtig, dass er grammatikalisch korrekt formuliert ist, auch die Betonung bestimmt die Bedeutung. So kann der Satz: "Der Mann sagt die Frau kann nicht Autofahren" je nach Betonung entweder bedeuten, dass die Frau nicht Autofahren kann: "Der Mann sagt, die Frau kann nicht Autofahren" oder aber das genaue Gegenteil: "Der Mann, sagt die Frau, kann nicht Autofahren."
Aus dem Zusammenspiel von grammatischer und prosodischer Information erkennt das Gehirn, welchen Sinn ein Satz ergibt. Bekannt ist, dass bestimmte Areale in der linken Hirnhälfte dabei die Grammatik und Wörter verarbeiten, einzelne Bereiche in der rechten Hirnhälfte erkennen die Sprachmelodie. Zum korrekten Sprachverständnis müssen sich die Hirnhälften also austauschen. Dazu nutzen sie das Corpus Callosum, eine Art Brücke zwischen den Hälften.
Wissenschaftler aus der Abteilung von Professor Angela Friederici am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig haben nun herausgefunden, dass das hintere Drittel des Corpus Callosum die entscheidende Vermittlerrolle beim Sprachverständnis zwischen den beiden Hirnhälften übernimmt. Das Corpus Callosum verbrückt die beiden Seiten des Gehirns dabei nicht einfach so, vielmehr verbinden einzelne Faserbündel jeweils genau definierte Bereiche der Hirnhälften. Im vorderen Teil der Brücke liegen diejenigen Faserbündel, die die frontalen Regionen der beiden Hirnhälften miteinander verknüpfen, während die Fasern im hinteren Teil der Brücke die weiter hinten liegenden Regionen der Hirnhälften miteinander verbinden.
Die Forscher haben untersucht, ob Patienten, bei denen jeweils verschiedene Teile dieser Brücke verletzt sind, Sprache normal verarbeiten können. Dabei beobachteten sie mit neurophysiologischen Messverfahren, ob und wie Schädigungen in den unterschiedlichen Bereichen die Sprachverarbeitung beeinflussen. Sie stellten dabei fest, dass sich nur bei Patienten, bei denen das hintere Drittel des Corpus Callosum geschädigt ist, die Hirnhälften dabei nicht wie nötig austauschen können: Das Zusammenspiel zwischen grammatischer und prosodischer Information ist gestört.
(MPG, 17.01.2007 – NPO)