Seltener Fund: Wissenschaftler haben mehrere Bernsteine entdeckt, in denen kleine Eidechsen samt aasfressenden Insekten eingeschlossen wurden. Angelockt vom Verwesungsgeruch der Echsen folgten ihnen vor 99 Millionen Jahren offenbar mehrere Aasfliegen ins klebrige Baumharzgrab. Von Ameisen, dem heutigen „Aufräumkommando“ des Waldes, gibt es in den fossilen Bernsteinen jedoch keine Spur. Die Forschenden vermuten deshalb, dass damalige Aasfresser-Gemeinschaften anders aufgebaut waren als heute.
Bernstein liefert uns unvergleichlich detaillierte Blicke in die Vergangenheit. Eingeschlossen in Baumharz, haben unter anderem ein Mini-Dino, eine Krabbe, Spermien und hauchzarte Blüten die Jahrmillionen überdauert. Manchmal bleiben sogar ganze „Szenen“ erhalten, Momentaufnahmen mit verschiedenen Lebewesen, die alle in ein und demselben Bernsteinklotz stecken. Ob und wie sie einst miteinander interagiert haben, können Paläontologen oft nur in kleinteiliger Detektivarbeit herausfinden.
Eidechsen im Baumharz
Detektivarbeit war auch bei drei 99 Millionen Jahre alten Bernsteinfunden aus Myanmar gefragt. Sie haben gemeinsam, dass in ihnen jeweils eine kleine Eidechse zusammen mit einigen Aasfliegen steckt. „Ein Einschluss mit Aasfressern in derselben Harzschicht ist besonders selten“, erklärt Mónica Solórzano‑Kraemer vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, die die Funde zusammen mit ihrem Team genauer untersucht hat.
Oft würde es bei Bernstein nur auf den ersten Blick so aussehen, als wären unterschiedliche Lebewesen gemeinsam konserviert worden, doch in Wirklichkeit stecken sie in unabhängigen Harzschichten und hatten zu Lebzeiten nicht zwingend etwas miteinander zu tun. Bei den Eidechsen und Aasfliegen ist es jedoch anders.
Geheimnis der Aasfresserfalle entschlüsselt
Dass Echsen und Fliegen gemeinsam die ewige Ruhe fanden, lässt sich laut den Wissenschaftlern besonders gut an einem etwa fünf Zentimeter langen Bernstein-Fossil mit insgesamt 13 Harzschichten erkennen. Darin ist nicht nur eine Eidechse der heute ausgestorbenen Art Oculudentavis naga konserviert worden, sondern auch über 130 weitere tierische und pflanzliche Einschlüsse.
Solórzano‑Kraemer und ihre Kollegen haben rekonstruiert, wie dieses Bernstein-Fossil einst entstanden ist. Die kleine Oculudentavis-Eidechse hatte sich auf einem Ast im Harz verfangen und wurde darin eingeschlossen. Lediglich ein kleiner Bereich an ihrem Hals lag weiterhin frei. Über dieses Fenster strömte Verwesungsgeruch aus, der Buckel- und Tanzfliegen in die klebrige Falle lockte, in der auch sie schließlich ihr Ende fanden. Solórzano‑Kraemer und ihr Team nennen dieses Phänomen „Aasfresserfalle“.
Ameisen standen damals noch nicht auf Aas
Doch der Bernstein offenbart nicht nur die Entstehung dieser Aasfresserfalle, sondern zeigt auch, wie anders sich einst die Aasfresser-Gemeinschaften zusammensetzten. Während heute vor allem Ameisen als „Aufräumkommando“ der Natur gelten und tote Tiere zersetzen, war dies vor 99 Millionen Jahren offenbar noch nicht so. „Dass sie in den von uns untersuchten Bernsteinen gänzlich fehlen, legt nah, dass das Aufspüren und Zerlegen von Aas zu dieser Zeit noch nicht zu ihren Nahrungsstrategien gehörte. Diese Fähigkeiten haben Ameisen offenbar erst später entwickelt“, berichtet Solórzano‑Kraemer. (Scientific Reports, 2023; doi: 10.1038/s41598- 023-29612-x)
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen