Grüne Lebensgrundlage: Die irdische Pflanzenwelt ist bisher nur in Ansätzen erfasst und erforscht. Allein im letzten Jahr wurden 1.730 neue Pflanzenarten entdeckt, wie der aktuelle Zustandsbericht zur irdischen Pflanzenwelt darlegt. Erst bei 225 Pflanzenarten hat man bisher das Erbgut entschlüsselt – angesichts von knapp 400.00 Gefäßpflanzenarten weltweit eine verschwindend geringe Zahl.
Sie produzieren den lebenswichtigen Sauerstoff und liefern Mensch und Tier die nötige Nahrung: Pflanzen. Ohne sie sähe die Erde nicht nur völlig anders aus, die Pflanzenwelt ist auch eine Voraussetzung für Leben wie wir es kennen. „Pflanzen bilden die Basis der irdischen Ökosysteme und haben das Potenzial, einige unsere drängendsten Probleme zu lösen“, sagt Kathy Willis, wissenschaftliche Leiterin der Royal Botanical Gardens im englischen Kew.
Doch wie gut kennen wir die irdische Pflanzenwelt? Und wie ist ihr Zustand? Antworten auf diese Fragen haben nun 128 Forscher aus zwölf Ländern im aktuellen State of the World’s Plants-Bericht zusammengetragen. „Wir gehen dabei über die bloßen Zahlen hinaus und beleuchten auch, wie und warum Pflanzen für unser Leben relevant sind“, so Willis.
1.730 Neuentdeckungen allein im letzten Jahr
Wie unvollständig unser Wissen über die Pflanzenwelt ist, demonstrieren die jährlichen Neuentdeckungen: Im Durchschnitt 2.000 zuvor unbekannte Arten spüren Biologen weltweit pro Jahr auf – im Jahr 2016 waren es allein 1.730 neue Gefäßpflanzenarten, wie die Forscher berichten. Zu ihnen gehören allein 39 neue Begonienarten aus Malaysia und die größte bekannte Bougainville-Art – ein drei Meter hohes, in Äthiopien entdecktes Gewächs.
Ebenfalls neu sind sechs neue Salbei-Arten, sowie jeweils eine neue Spezies von Ingwer, Vanille und Zuckerrohr. Dazu kommen fünf Arten aus der Gruppe der Maniokpflanzen, sieben neue Rotbuscharten und eine zuvor unbekannte Petersilienart, die Forscher in der Türkei entdeckten. Im Gabun spürten Biologen zudem vier zuvor unbekannte Aloe vera-Verwandte auf und in den Tropen entdeckten sie neun neue Arten der medizinisch wirksamen Juckbohne (Mucuna).
Nur ein winziger Bruchteil ist entschlüsselt
Noch unvollständiger als unser Wissen um die Vielfalt der Pflanzen sind die Informationen über ihr Erbgut: Erst von 225 Pflanzen haben Forscher bisher das Genom komplett entschlüsselt – davon rund 60 Prozent erst im letzten Jahr, wie Willis und ihre Kollegen berichten. Der größte Teil der bisher genetisch erfassten Pflanzenarten gehört zu den Getreiden und anderen für die Nahrungsversorgung der Menschheit wichtigen Pflanzenarten und ihre wilden Verwandten.
Angesichts von knapp 400.000 Gefäßpflanzenarten weltweit ist das erst ein winziger Ausschnitt der gesamten Pflanzenwelt. Die Forscher rechnen aber damit, dass mit sinkenden Kosten für die DNA-Analysen sehr schnell weitere Pflanzenarten hinzukommen werden. „Diese Genstudien liefern uns einen tieferen Einblick in die Pflanzenevolution und in fundamentale ökologische Prozesse“, so die Wissenschaftler.
Namens-Chaos bei Medizinpflanzen
Selbst bei Medizinpflanzen ist unser Wissen eher begrenzt: Dem Bericht nach sind zurzeit gut 28.000 Pflanzenarten bekannt, die einen medizinischen Nutzen haben oder entsprechende Inhaltsstoffe enthalten. Von diesen allerdings wurde bisher nur ein Bruchteil näher erforscht und wird auch tatsächlich eingesetzt.
Hinzu kommt: Gerade bei den Medizinpflanzen herrscht ein ziemliches Namens-Chaos: Die Bezeichnung „Ginseng“ wird beispielsweise für 15 verschiedenen Pflanzenarten gebraucht. Umgekehrt tragen viele Medizinpflanzen rund ein Dutzend synonymer Bezeichnungen, wie die Forscher berichten.
Brände, Invasoren und illegaler Handel
Im Zustandsbericht geht es aber auch um Gefährdung und Zukunft der irdischen Pflanzenwelt. Mehr als 31.000 Pflanzenarten stehen zurzeit auf der Liste der geschützten Spezies – Tendenz steigend. Dennoch blüht der illegale Handel mit geschützten Pflanzenarten: Im Jahr 2016 machte der illegale Handel mit Wildpflanzen allein in der EU rund acht bis 120 Milliarden Euro Umsatz – allen Artenschutzabkommen zum Trotz.
Eine weitere Gefahr sind die zunehmenden Waldbrände: Der Bericht schätzt, dass jedes Jahr rund 340 Millionen Hektar bewachsene Landfläche in Flammen aufgehen – das ist mehr als die gesamte Fläche Indiens. Auch invasive Pflanzen und Schädlinge mehren sich: Zurzeit werden weltweit 6.075 Gefäßpflanzenarten als Bioinvasoren gelistet, wie die Forscher berichten. Ihre Ausbreitung zu verhindern sei „ein komplexer Kampf“, so Willis und ihre Kollegen.
Klimawandel: Was macht eine Pflanze zum Gewinner?
Die Wissenschaftler haben aber auch untersucht, was eine Pflanze mitbringen muss, um den Klimawandel als Gewinner zu überstehen. Ihr Ergebnis: Am meisten Chancen haben Gewächse, die tiefe Wurzeln und dicke Blätter haben und dadurch Hitze und Wassermangel besser tolerieren können. Ebenfalls begünstigt sind Bäume mit dickerer Rinde wie die Korkeiche, die dadurch sogar Waldbrände unbeschadet überstehen kann.
Ein weiterer Faktor, der eine Pflanze zum Gewinner macht, ist die Fähigkeit, auch nach dem Brand oder dem kompletten Vertrocknen wieder neu auszutrieben, wie es beispielsweise bei der Amerikanischen Zitterpappel (Populus tremuloides) der Fall ist. „Das Interessante ist, dass die Reihe der günstigen Merkmale in der gesamten Welt die gleiche ist – egal ob eine Pflanzen in einem Wald der gemäßigten Breiten oder einer Wüste wächst“, sagt Willis.
(Royal Botanical Gardens Kew, 18.05.2017 – NPO)