Giftiges Erbe: Die Vorfahren der Bienen, Wespen und Ameisen waren bereits giftig, bevor sie überhaupt einen Stachel zum Injizieren entwickelt hatten, wie Forschende nun herausgefunden haben. Demnach waren einige ihrer Giftkomponenten schon vor über 280 Millionen Jahren vorhanden, konnten damals aber nur mithilfe des Eiablageapparats freigesetzt werden. Auch heute nutzen einige Hautflügler-Arten noch diese Strategie, während andere ihr Gift per Stachel oder gar nicht mehr applizieren.
Die gefährlichste Waffe der Wespen, Bienen und Ameisen ist ihr Stachel, mit dem sie anderen Lebewesen schmerzhafte Giftcocktails injizieren können. Sie nutzen diese Fähigkeit zum Beispiel, wenn sie sich bedroht fühlen, aber auch auf der Jagd oder bei parasitischen Aktivitäten. Biologisch betrachtet gehören alle drei stechenden Insektengruppen zur Ordnung der Hautflügler (Hymenoptera), deren Gift aus verschiedenen Peptiden, Proteinen und Enzymen besteht. Wann es sich jedoch genau entwickelt hat, ist nicht final geklärt.
Giftsuche im Genom
Forschende um Ivan Koludarov von der Universität Gießen haben nun erstmals untersucht, wie und wann die wichtigsten Bestandteile des Hautflügler-Giftes entstanden sind. Dafür ermittelten sie mithilfe von Proteindatenbanken zunächst, welche Peptide und Proteine im Gift der Hautflügler am weitesten verbreitet sind und identifizierten dabei zwölf Familien von „Zutaten“, die die verschiedenen Toxin-Cocktails gemeinsam haben.
Anschließend fahndeten Koludarov und seine Kollegen im Erbgut von 32 Hautflügler-Arten – darunter Honigbienen, Feuerameisen und Wespen – nach den Genen für diese zwölf Peptid- und Proteinfamilien. Indem die Forschenden Unterschiede zwischen den genetischen Codes aufspürten und diese evolutionsbiologisch zurückverfolgten, konnten sie schließlich eine Art Stammbaum der Giftgene erstellen, der ihnen mehr über das Wann und Wie der Giftevolution bei Hautflüglern verriet.
Erst Gift, dann Stachel
Das Ergebnis: Viele der untersuchten Giftgene kommen bei allen Hautflüglern vor und gehen daher sehr wahrscheinlich auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück, der bereits vor mehr als 280 Millionen Jahren lebte, wie die Forschenden berichten. Das ist verblüffend, denn es bedeutet, dass Hautflügler schon giftig waren, bevor einige von ihnen ihren charakteristischen Injektionsstachel entwickelt hatten. Das Gift kam somit vor dem Stachel, wie Koludarov und sein Team erklären.
Das bedeutet aber nicht, dass frühe Hautflügler ihr Gift noch nicht nutzen konnten. Denn Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass sich der Stachel der Wespen, Bienen und Ameisen einst aus dem Eiablageapparat ihrer Hautflügler-Vorfahren entwickelt hat. Auch heute noch nutzen einige parasitäre Pflanzenwespen wie die Blaue Fichtenholzwespe (Sirex noctilio) diesen Apparat, um der Fichtenborke neben den eigenen Eiern auch verschiedene Giftproteine zu injizieren. Diese sollen im Holz geeignete Lebensbedingungen für die schlüpfenden Larven schaffen.
Obwohl alle Hautflügler prinzipiell die nötige genetische Ausstattung für die Giftproduktion besitzen, nutzen nicht alle von ihnen diese Veranlagung auch tatsächlich, wie das Team erklärt. Ebenso gibt es einige Arten, deren Vorfahren zwar ursprünglich einen Stachel besaßen, diesen dann aber im Laufe der Evolution wieder verloren haben. Das trifft zum Beispiel auf verschiedene Spezies stachelloser Bienen zu.
Bienengift ist besonders
Während die Giftkomposition der verschiedenen Hautflügler verhältnismäßig ähnlich zu sein scheint, gibt es jedoch auch Ausnahmen. So haben Koludarov und seine Kollegen etwa herausgefunden, dass das Gift der Honigbienen (Apis mellifera) einige Besonderheiten aufweist. Unter anderem enthält es als einziges das schmerzauslösende Peptid Melittin. „Es macht im Bienengift bis zu 60 Prozent des Trockengewichts aus“, erklärt Seniorautor Björn von Reumont von der Goethe-Universität Frankfurt.
Gleichzeitig entdeckte das Team aber auch eine komplett neue Proteinfamilie im Bienengift, die es auf den Namen Anthophilin 1 getauft hat. „Die Gene dieser Familie scheinen sich in den verschiedenen Bienenstämmen unabhängig voneinander zu diversifizieren“, berichten die Forschenden. (BMC Biology, 2023, doi: 10.1186/s12915-023-01656-5)
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt