Zähne wie ein Kaninchen, Hinterbeine wie ein Krokodil und ein mysteriöses Loch in der Schnauze: Auf Madagaskar haben Forscher das vollständige Fossil eines sehr merkwürdigen Säugetiers entdeckt, das vor 66 Millionen Jahren Seite an Seite mit Dinosauriern gelebt hat. Der Körperbau von Adalatherium hui gleicht einer bizarren Mischung ganz unterschiedlicher Spezies, kombiniert mit einzigartigen, noch bei keinem anderen Tier gefundenen Merkmalen.
Nur wenig ist bisher über die ersten Säugetiere bekannt, die auf dem alten Großkontinent Gondwana auf der Südhalbkugel lebten. Die Fossilfunde dieser mysteriösen Gruppen, der Gondwanatheria, beschränkten sich lange auf einzelne Zähne und Kieferteile. Die Entdeckung eines vollständigen Schädels im Jahr 2014 war eine Sensation. Die damals neu beschriebene Spezies Vintana – ein etwa neun Kilogramm schweres, murmeltierartiges Wesen – gilt als größter Vertreter der frühen Säugetiere Gondwanas.
Vintana bekommt Gesellschaft
Nun beschreiben Forscher um David Krause von der Stony Brook University in New York einen neuen, aufsehenerregenden Fund: Das komplette Skelett einer bislang unbekannten Säugetierspezies von Gondwana. Das 66 Millionen Jahre alte Fossil erlaubt neue Einblicke, wie die Gondwanatheria aussahen und wie sie gelebt haben – und stellt die Forscher gleichzeitig vor Rätsel.
Aufgrund seiner außergewöhnlichen Merkmale haben sie ihren Fund Adalatherium getauft – dies ist eine Mischung aus Griechisch und Madagassisch und bedeutet „verrücktes Tier“. Anders als die meisten anderen frühen Säugetiere, die nicht größer wurden als eine Maus, erreicht Adalatherium etwa die Ausmaße eines Opossums. Auf Basis ihrer Berechnungen schätzen die Forscher das Gewicht des Tieres auf etwa 3,1 Kilogramm, weisen aber darauf hin, dass es sich wahrscheinlich um ein Jungtier handelte.
Auch wenn Adalatherium damit nicht den Größenrekord von Vintana knackt, ist es für die damalige Zeit erstaunlich groß – galt es doch lange als ausgemacht, dass Säugetiere, die zeitgleich mit Dinosauriern lebten, nur durch ihre Winzigkeit eine Überlebenschance hatten.
Erstaunliche Mischung von Merkmalen
In den Rekonstruktionen der Forscher ähnelt das „verrückte Tier“ äußerlich einem Dachs. Doch seine Merkmale scheinen nicht zueinander zu passen: „Adalatherium ist einfach seltsam“, kommentiert Krause. „Der Versuch, herauszufinden, wie es sich bewegte, war zum Beispiel eine Herausforderung, weil sein vorderer Körperteil uns eine ganz andere Geschichte erzählt als der hintere Teil.“
So ähneln die muskulösen, nach außen gerichteten Hinterbeine am ehesten denen eines Krokodils und könnten zusammen mit den kräftigen Krallen darauf hindeuten, dass dieser frühe Säuger gut graben konnte. Die Vorderbeine dagegen sind weniger stämmig und stehen unter dem Körper, so wie bei heutigen Säugetieren, die schnell laufen können.
Auch die Zähne geben den Forschern Rätsel auf. Die Vorderzähne ähneln denen heutiger Kaninchen und sind wahrscheinlich ein Leben lang gewachsen. Das deutet darauf hin, dass Adalatherium Pflanzenfresser war. Die Backenzähne dagegen sind von keiner anderen Säugetierspezies bekannt und machen deshalb Vergleiche schwierig. An der Spitze der Schnauze befindet sich zudem ein mysteriöses Loch, dass einzigartig für alle bisher bekannten lebenden und ausgestorbenen Spezies ist.
Wichtiges Puzzleteil in der Evolution der Säugetiere
Gefunden haben die Forscher das Fossil im Nordwesten Madagaskars. Gegen Ende der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren, als Adalatherium lebte, war Madagaskar bereits 150 Millionen Jahre von Afrika und über 20 Millionen Jahre vom indischen Subkontinent getrennt. Damit bot die Region ideale Bedingungen für die Entwicklung außergewöhnlicher Spezies. „Inseln sind eine Brutstätte der Seltsamkeit“, sagt Krause. „Es blieb genügend Zeit für Adalatherium, in der Isolation seine vielen außerordentlich eigenartigen Merkmale zu entwickeln.“
Krauses Kollegin Simone Hoffmann vom New York Institute of Technology ergänzt: „Adalatherium ist ein wichtiges Stück in einem sehr großen Puzzle über die frühe Säugetierentwicklung in der südlichen Hemisphäre, in dem die meisten anderen Teile noch fehlen.“ Die Entdeckung zeigt, wie viel noch über die Evolution der frühen Säugetiere zu lernen ist. (Journal of Vertebrate Palaeontology, 2020; doi: 10.1080/02724634.2020.1805455)
Quelle: Taylor & Francis Group