Überraschend „normal“: Paläontologen haben erstmals das Schädelinnere und die Gehirnform von zwei frühen Spinosauriern untersucht. Diese Dinosaurier gelten wegen ihrer schwimmenden Jagdweise und krokodilähnlichen Schnauze als Sonderlinge der Dinowelt. Doch wie die Hirnscans enthüllen, zeigten die Denkorgane der frühen Spinosaurier Baryonyx und Ceratosuchops noch keine Anzeichen einer besonderen Anpassung an diese halbaquatische Lebensweise. Stattdessen ähnelten ihre Gehirne denen der landlebenden Raubsaurier.
Spinosaurier waren eine ungewöhnliche Gruppe fleischfressender Dinosaurier. Der bekannteste Vertreter ist wohl der 16 Meter lange Spinosaurus aegyptiacus mit seinem auffallenden Rückensegel, der unter anderem im dritten Teil der Jurassic Park-Reihe den Hauptfiguren das Leben schwer macht. Doch längst nicht nur er, sondern auch seine Verwandten gelten als Sonderlinge in den Reihen der Raubsaurier.
Denn anders als sie jagten Spinosaurier nicht Triceratops und Co. hinterher, sondern gingen auf Fischfang. Darauf deuten ihre krokodilartigen Kiefer und kegelförmigen Zähne hin. Bisher nahmen Paläontologen an, dass sich die halbaquatische Lebensweise der Spinosaurier auch in ihren Gehirnen widerspiegeln muss. Tatsächlich zeigte der Schädel-Scan eines späten Spinosauriers, dass sein Gehör und die Fähigkeit zu schnellen Kopfbewegungen an das Jagen unter Wasser angepasst waren. Doch besaßen Spinosaurier diese Anpassungen auch schon von Anfang an?
Neuer Blick ins Spinosaurier-Gehirn
Um das herauszufinden, haben nun Forschende um Chris Barker von der University of Southampton Schädel-Scans bei frühen, noch relativ ursprünglichen Formen der Spinosaurier durchgeführt. Untersuchungsobjekte waren die Köpfe von Baryonyx walkeri und Ceratosuchops inferodios, die in der frühen Kreidezeit vor etwa 125 Millionen Jahren lebten. Ihre Fossilien stammen aus dem Süden Englands. Mit neun bis zehn Metern Länge gehörten beide zur Liga der großen Raubsaurier, besaßen anders als ihr bekannter Verwandter Spinosaurus aegypticaus allerdings kein Rückensegel.
Um den Hirnstrukturen dieser Spinosaurier auf die Spur zu kommen, scannten die Paläontologen die Schädel in einem leistungsstarken Mikro-Computertomographen und erstellten auf Basis dieser Daten eine räumliche Nachbildung des Gehirns – einen sogenannten Endocast. Ein Endocast verrät mehr über die Größe und Lage verschiedener Hirnareale und gibt so unter anderem Aufschluss über die verschiedenen Sinne eines Tieres.
Ungewöhnliche Lebensweise, aber durchschnittliche Sinne
Die Analysen enthüllten, dass die Sinne von Baryonyx und Ceratosuchops offenbar nicht so besonders waren wie erwartet. So fand das Forschungsteam etwa heraus, dass der Riechkolben und somit der Geruchssinn der frühen Spinosaurier nur mäßig entwickelt war. Was die Teile des Gehirns angeht, die für die Stabilität des Kopfes und für die Fixierung des Blicks auf die Beute zuständig sind, so waren diese allem Anschein nach ebenfalls weniger entwickelt als bei späteren, stärker spezialisierten Spinosauriern. Die Analyse des Endocasts zeigte außerdem, dass die Ohren von Baryonyx und Ceratosuchops wohl auf niedrigfrequente Töne eingestellt waren.
Alles in allem entsprechen die Sinne der beiden Spinosaurier damit dem Raubsaurier-Durchschnitt. Sie stehen Tyrannosaurus und Co. in nichts nach, heben sich aber auch nicht deutlich von ihnen ab. „Trotz ihrer ungewöhnlichen Ökologie scheinen die Gehirne und Sinne dieser frühen Spinosaurier viele Aspekte mit denen anderer großer Raubsaurier gemeinsam zu haben – es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich ihre semi-aquatische Lebensweise in der Organisation ihrer Gehirne widerspiegelt“, erklärt Barker. „Da die Schädel aller Spinosaurier so sehr auf das Fangen von Fischen spezialisiert sind, ist es überraschend, solch ‚nicht spezialisierte‘ Gehirne zu finden“, ergänzt sein Kollege Darren Naish.
Fehlte einfach nur eine angepasste Schnauze?
Doch warum ist das so? Die Wissenschaftler haben zwei Hypothesen, weshalb die Gehirne früher Spinosaurier anders aussahen als vermutet. Eine mögliche Interpretation der Ergebnisse ist, dass die Gehirne, die Spinosaurier von ihren Vorfahren geerbt haben, schon alles an nötigen Anpassungen für den Fischfang mitbrachten. Eine Veränderung dieser Hirnstrukturen wäre also überflüssig gewesen. Stattdessen mussten ihnen „nur“ lange Schnauzen und kegelförmige Zähne wachsen, um zum Fischfang-Spezialisten zu werden.
Eine zweite Hypothese geht davon aus, dass die angefertigten Endocasts schlicht zu grob sein könnten, um spezielle „Fischfang-Strukturen“ darin zu erkennen. Laut Barker könnten innerhalb der groben Umrisse hochspezialisierte Strukturen versteckt liegen, die die Paläontologen mit der aktuellen Technologie aber noch nicht sehen können. (Journal of Anatomy, 2023; doi: 10.1111/joa.13837)
Quelle: University of Southampton