Materialforschung

Borstenwurm mit Metallgebiss

Neuartiges Verbundmaterial macht Wurmkiefer stabil und biegsam zugleich

Borstenwurm-Kiefer
Dieser Kiefer eines Borstenwurms ist so hart und biegsam wie massives Metall. © Kyojiro Ikeda

Mineralfrei und trotzdem hart: Die Kiefer von Borstenwürmern verdanken ihre flexible Härte einer ungewöhnlichen Zusammensetzung. Anders als andere harte Naturmaterialien enthalten sie keine mineralischen Bestandteile. Stattdessen kommt ihre Stabilität von Metallatomen, die in die Proteinmatrix des Kiefers eingebunden sind. Die Komplexbindungen von Zink, Kupfer, Magnesium und Co verleihen dem Kiefermaterial ähnliche Eigenschaften wie einem kristallinen Metall.

Ob Knochen, Zähne oder das Perlmutt der Muschelschalen: Die Natur hat viele Verbundmaterialien hervorgebracht, die besonders hart und stabil sind. Meist sorgen dabei Minerale, die in eine organische Matrix eingefügt sind, für die nötige Festigkeit. „Knochen etwa sind sehr hierarchisch aufgebaut: Es gibt organische und mineralische Anteile, winzige Strukturen ergeben größere Strukturen, die sich zu noch größeren Strukturen zusammenfügen“, erklärt Seniorautor Christian Hellmich von der Technischen Universität Wien.

Eisen, Kupfer, Zink und Brom

Doch es geht auch anders: Die am Grund fast aller Meere vorkommenden Borstenwürmer haben ein ganz eigenes Naturpatent entwickelt, um ihren Kiefern eine besondere Härte zu verleihen. „Ihre Kiefer sind zwar äußerst stabil und unzerbrechlich, doch sie enthalten keine mineralischen Körnchen, wie man das von Wirbeltierknochen kennt“, sagt Hellmich. Stattdessen besteht der Borstenwurm-Kiefer aus einer Proteinmatrix, in die einzelne Metallatome eingebunden sind.

In Analysen wiesen Helmich und sein Team nach, dass der Borstenwurm Platynereis dumerilii mehrere unterschiedliche Metall-Ionen in seinem Kiefer trägt. Der Gehalt an Eisen erreicht dabei knapp neun Gewichtsprozent, Brom kann lokal sogar einen Anteil von 20 Prozent erreichen. In der besonders harten Kieferspitze sind zusätzlich bis zu fünf Prozent Zink und mehr als zehn Prozent Iod eingebunden.

Hart und biegsam wie massives Metall

Allerdings: „Dass im Borstenwurm-Kiefer Metallatome vorkommen, erklärt noch nicht seine ausgezeichneten Materialeigenschaften“, erklärt Hellmich. Denn wie Belastungstests mit einem speziellen Nano-Identationsgerät ergaben, hält der Kiefer nicht nur einem Druck von rund zwölf Gigapascal stand, bevor er nachgibt. Anders als viele Naturmaterialein mit Mineralanteil lässt er sich auch biegen, ohne das er bricht.

„Genau diese Kombination aus hoher Festigkeit und Verformbarkeit ist normalerweise für reine Metalle charakteristisch“, erklärt Erstautor Luis Zelaya-Lainez von der TU Wien. Bei diesen gleiten die im Kristallgitter liegenden Atome aneinander vorbei und bilden dann neue Bindungen aus. Das erlaubt die metalltypische Verformung ohne Bruch. „Hier haben wir es zwar mit einem völlig anderen Material zu tun, aber interessanterweise sorgen trotzdem auch dort die Metallatome für Festigkeit und Verformbarkeit, wie bei einem Werkstück aus Metall“, so Zelaya-Lainez.

Komplexbindungen machen das Material flexibel

Doch wie bekommt der Borstenwurm-Kiefer seine ungewöhnlichen Metalleigenschaften? Nähere Analysen enthüllten: Die einzelnen Metallatome sind über Komplexbindungen mit den Proteinketten der Matrix verbunden. „Wenn diese Bindungen durch mechanische Einwirkungen brechen, können sie sich in neuer geometrischer Konfiguration schnell wieder neu bilden“, erklären die Wissenschaftler. Währenddessen gleiten die Proteinketten aneinander vorbei und erlauben so die elastische Verformung des Wurm-Kiefers.

Im Prinzip reagiert das Verbundmaterial des Kiefers damit wie ein massives Metall, obwohl es nur einen geringen Anteil Metallatome enthält. „Aber während Metalle bei hohen Temperaturen und unter hohem Energieverbrauch hergestellt werden, ist das durch Metall-Ionen gehärtete Naturmaterial das Produkt einer biologischen Synthese“, so das Forscherteam. Fossilfunde legen nahe, dass die Borstenwürmer dieses harte und flexible Naturmaterial schon vor gut 500 Millionen Jahren entwickelt haben.

Vorbild für neuartige Werkstoffe

Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte diese neue Art von Verbundmaterial auch als Vorbild für neuartige, industriell nutzbare Werkstoffe dienen. „Vielleicht ist es sogar möglich, auf biologische Weise Hochleistungsmaterialien herzustellen – viel effizienter und umweltfreundlicher als uns das heute gelingt“, sagt Hellmich. Diese neue Materialklasse könnte in einigen Anwendungen vielleicht sogar massive Metallbauteile ersetzen und so einiges an Rohstoffen und Energie sparen. (JOM, 2021; doi: 10.1007/s11837-021-04702-1)

Quelle: Technische Universität Wien

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