In fast allen menschlichen Kulturen ist Inzucht tabu. Nicht so bei manchen Buntbarschen: Lässt man ihnen die Wahl, paaren sie sich weit häufiger mit Bruder oder Schwester, als mit einem nicht-verwandten Artgenossen. Wie Evolutionsbiologen jetzt in der Fachzeitschrift „Current Biology“ berichten, konnten sie keine Hinweise dafür finden, dass diese Geschwisterliebe zu genetischen Komplikationen beim Nachwuchs führt. Stattdessen arbeiten verwandte Eltern bei der Aufzucht der Kinder besser zusammen. Die Forscher vermuten, dass ihre Beobachtungen auch für andere Arten zutreffen könnten.
In ihrer Studie setzten Biologen der Universität Bonn geschlechtsreife Buntbarsch-Männchen in ein Aquarium mit zwei Weibchen und beobachteten, zwischen welchen beiden Tieren es zur Paarung kam. Bei der ersten potenziellen Partnerin handelte es sich um eine Schwester des Männchens, die andere war nicht mit ihm verwandt. In 17 von 23 Fällen kam es dabei zu einer inzestiösen Liaison. Nur sechsmal entschied sich das Männchen für das nicht verwandte Weibchen. „Es ist das erste Mal, dass eine solche Präferenz für einen eng verwandten Partner experimentell nachgewiesen wurde“, erklärt Timo Thünken vom Institut für Evolutionsbiologie und Ökologie. Dieses erstaunliche Ergebnis konnten die Forscher in verschiedenen weiteren Experimenten bestätigen.
Inzucht bringt normalerweise genetische Nachteile
Bis vor kurzem ging die weltweite Forschergemeinde davon aus, dass die Liebe unter Geschwistern überwiegend Nachteile mit sich bringt. Vor allem aus genetischer Sicht: Kinder erben von jedem Gen zwei Kopien, eine vom Vater und eine von der Mutter. Ist bei einem Elternteil eine Erbanlage mutiert, kann das der Partner in der Regel mit einer „gesunden“ Kopie ausgleichen. Wenn die Eltern verwandt sind, erhöht sich aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass bei ihnen die selben Erbanlagen defekt sind.
Entsprechend oft erbt der Nachwuchs zwei defekte Kopien. Zu beobachten ist dieser Effekt beispielsweise an der Gerinnungsstörung Hämophilie, die inzuchtbedingt vor allem Adelige traf und daher auch „Krankheit der Könige“ genannt wird. Auch das Immunsystem scheint umso schlagkräftiger auf neue Herausforderungen reagieren zu können, je unterschiedlich die genetische Ausstattung der Eltern ist.