Kooperation statt Konkurrenz: Im Süden Brasiliens haben Netzfischer und Delfine eine ungewöhnliche Zusammenarbeit entwickelt. Obwohl beide Arten eigentlich um Fisch konkurrieren, fangen sie dort ihre Beute gemeinsam – und profitieren beide davon, wie Forscher ermittelt haben. Die Fischer fangen rund viermal mehr Meeräschen als ohne die Delfinhilfe. Die kooperativen Delfine wiederum naschen aus den Netzen und leben länger. Damit ist dies ein seltener Fall von Symbiose unter Top-Prädatoren.
Kooperationen zwischen verschiedenen Arten kommen in der Natur häufiger vor, beispielsweise bei der Symbiose von Korallen mit ihren Algen oder Einsiedlerkrebsen mit Seeanemonen. Deutlich seltener sind allerdings artübergreifende Kooperationen zwischen Raubtieren, die an der Spitze ihrer Nahrungsnetze stehen. Ihre Beziehung ist meist von der Konkurrenz um Beute geprägt – dies gilt auch für uns Menschen und unser Verhältnis zu anderen großen Fleischfressern im Tierreich.
Netzfischen mit Delfinen
Doch es gibt Ausnahmen. Eine davon umfasst eine ungewöhnliche Zusammenarbeit von Netzfischern im Süden Brasiliens und den an der Küste vor Laguna lebenden Delfinen. Mensch und Meeressäuger fangen dort vor allem Meeräschen (Mugil liza), eine in tropischen und subtropischen Gewässern häufige Fischart. Um die Fische zu erbeuten, werfen die Fischer von Laguna im Wasser stehend ihre Netze aus, wenn ein Schwarm in der Nähe ist.
Der Clou jedoch: Als Anzeiger und Helfer bei diesem Fischfang dienen die Delfine. „Es war bekannt, dass die Fischer das Verhalten der Delfine beobachten, um festzustellen, wann sie ihre Netze auswerfen sollten“, erklärt Mauricio Cantor vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell und der Oregon State University. Unklar war jedoch, ob die Delfine ihr Verhalten auch an die Fischer anpassen und ob sie ebenfalls von der Kooperation profitieren.
Cantor und sein Team haben daher das Verhalten von Menschen und Meeressäugern über 15 Jahre hinweg mit Drohnen, Unterwasseraufnahmen und Sonargeräten überwacht. Auf diese Weise gelang es dem Team, die Details dieser ungewöhnlichen Mensch-Delfin-Zusammenarbeit zu ergründen.
Aktive Kooperation von beiden Seiten
Das Ergebnis: Es kein Zufall, dass beim Fischen beide Arten zusammen im Wasser sind. Die Delfine kommen immer dann, wenn Meeräschen-Schwärme in der Bucht präsent sind. Die Fischer wiederum haben dies im Laufe der Zeit erkannt und gehen erst dann mit ihren Netzen ins Wasser, wenn sie die Großen Tümmler sichten. Bis zu diesem Punkt ist die Zusammenarbeit demnach eher einseitig.
Doch das ändert sich im nächsten Schritt: Die Delfine reagieren nun auf die Präsenz der im flachen Wasser stehenden Fischer und treiben die Meeräschen in ihre Richtung. Dies erhöht die Dichte im Fischschwarm und sorgt für Unruhe unter den Meeräschen, wie Cantor und sein Team feststellten. Als nächstes geben die Delfine den Fischern ein Signal, die Netze auszuwerfen – in der Regel, indem sie abrupt abtauchen. „Wir wussten nicht, dass die Delfine ihr Verhalten so aktiv mit den Fischern koordinieren“, sagt Cantor.
Auch die Delfine profitieren
Doch welche Vorteile haben die Delfine von ihrem kooperativen Verhalten? Bei den Fischern zeigte sich eine klare Bilanz: In Zusammenarbeit mit den Delfinen fangen sie im Schnitt fast viermal mehr Meeräschen als alleine. Doch auch die Meeressäuger profitieren von der Kooperation: Wenn die Delfine mit den Fischern gemeinsam jagen, steigt ihre Überlebensrate im Vergleich zu unkooperativen Artgenossen um 13 Prozent, wie Cantor und sein Team herausfanden.
Die Konfusion der vor den Netzen eingeengten Meeräschen erleichtert es den Delfinen zudem, ihre Beute zu schnappen. „Unsere Aufnahmen enthüllen auch, dass die Delfine einige schon ins Netz gegangene Meeräschen fangen“, berichtet das Team. Ähnliches berichteten auch die Fischer: 61 Prozent von ihnen gaben an, dass sie manchmal spüren, dass die Tümmler eine oder zwei Meeräschen aus dem Netz nehmen. „Die Zusammenarbeit ist also für beide Seiten von Vorteil“, so Cantor.
Seltene Variante der Kooperation
Damit repräsentiert dies den seltenen Fall einer für beide Seiten vorteilhaften Kooperation zwischen zwei Arten an der Spitze der Nahrungskette. „Das macht dieses Verhalten so interessant. Es lehrt uns, unter welchen Bedingungen sich Kooperation entwickeln kann und unter welchen sie aussterben oder von einem kooperativen in ein kompetitives Verhältnis umschlagen könnte“, sagt Koautor Damien Farine von der Universität Zürich und der Australian National University.
Doch die traditionelle Kooperation von Netzfischern und Delfinen in Brasilien ist im Schwinden begriffen. Weil die Bestände der Meeräschen in diesem Gebiet in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen sind, sinkt das Interesse an dieser traditionsreichen Zusammenarbeit. „Eine solche für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit zwischen Wildtieren und Menschen wird immer seltener und ist weltweit gefährdet“, so Cantor. „Ihr kultureller Wert und die biologische Vielfalt, auf der sie beruht, sind unschätzbar und müssen erhalten werden.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2023; doi: 10.1073/pnas.2207739120)
Quelle: Oregon State University, Max-Planck-Gesellschaft