Fossile Freischwimmerin: Paläontologen haben die älteste, eindeutig freischwimmende Qualle der Welt entdeckt. Burgessomedusa phasmiformis lebte demnach vor 505 Millionen Jahren und nutzte ihren bis zu 20 Zentimeter hohen, glockenförmigen Schirm zur Fortbewegung in der Wassersäule. Mit ihren über 90 fingerartigen Tentakeln fing sie wahrscheinlich selbst größere und bewegliche Beutetiere. Dementsprechend standen anders als bislang angenommen doch nicht nur große Gliederfüßer an der Spitze der einstigen Nahrungsketten, sondern ebenso Quallen.
Vor 500 Millionen Jahre spielte sich das Leben noch im Wasser ab. Neben Tintenfischen und Trilobiten trieben dort auch große Räuber wie Anomalocaris ihr Unwesen. Wann jedoch die ersten freischwimmende Quallen mit Schirmen und Tentakeln im urzeitlichen Ozean auftauchten, ist noch nicht ganz klar. Die Spurensuche gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil Quallen aus Weichgewebe bestehen und daher nur selten versteinern.
In der ersten Lebensphase dieser Nesseltiere, die sie als festsitzender Polyp mit Mineralienhülle verbringen, stehen die Chancen zur Versteinerung zwar deutlich besser. Aber nur anhand eines fossilen Polypen lässt sich nicht herausfinden, ob dieser sich zu einer freischwimmenden Quallenmedusa weiterentwickelt hätte oder nicht.
Quallenjagd in der Urzeit
Auf der Suche nach der ersten freischwimmenden Medusa, wie wir sie heute kennen, wurden schon viele Fossilien präsentiert, die angeblich eine solche zeigen sollen. Doch diese Exemplare sind in der paläontologischen Gemeinschaft umstritten. Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich bei diesen Funden um Rippenquallen, aber nicht um Quallen im engeren Sinne handeln könnte.
Doch Paläontologen um Justin Moon von der University of Toronto sind nun davon überzeugt, tatsächlich auf die älteste freischwimmende Qualle der Welt gestoßen zu sein. Für diese Einordnung haben sie über 170 sehr gut erhaltene Körperfossilien aus dem 505 Millionen Jahre alten Burgess-Schiefer im kanadischen Raymond Quarry untersucht. Die Fossilien, in denen teilweise sogar Magenhöhle, Magenstiel und Keimdrüsen der Quallen konserviert blieben, wurden größtenteils schon bei Expeditionen in den späten 1980er und 1990er Jahren gefunden.
Freischwimmende Räuberin
Moon und sein Team gehen davon aus, dass all diese fossilen Quallen zu einer bislang unbekannten Art gehören, die sie Burgessomedusa phasmiformis getauft haben. Basierend auf den fossilen Überresten nehmen die Paläontologen an, dass der glockenförmige Schirm dieser Quallenart bis zu 20 Zentimeter hoch werden konnte. Mit dessen Hilfe konnte sie sich wahrscheinlich „rudernd“ im Wasser fortbewegen, berichten die Forschenden.
Burgessomedusa besaß außerdem über 90 kurze, fingerartige Tentakel, mit denen sie vermutlich auch größere, bewegliche Beutetiere fangen konnte, so Moon und seine Kollegen. Das wirbelt das bisherige Bild der Nahrungsnetze im urzeitlichen Ozean durcheinander. An der Spitze der Nahrungskette könnten demnach nicht nur große schwimmende Gliederfüßer wie der berüchtigte Anomalocaris gestanden haben, sondern auch große Quallen.
Moon und sein Team nehmen an, dass Burgessomedusa sich zum Beutefang sowohl in der offenen Wassersäule als auch in der Nähe des Meeresgrundes aufhielt. Denn die meisten versteinerten Exemplare sind einst bei lebendigem Leib von Schlammlawinen begraben worden, was ihnen in offenem Gewässer nicht passiert wäre.
Stammmutter der Würfelquallen
Doch in welchem Verwandtschaftsverhältnis steht Burgessomedusa zu heutigen Quallen? Stammbaumanalysen von Moons Team haben ergeben, dass die frühe Freischwimmerin zur ausgestorbenen Stammgruppe heutiger Acraspeda gehört haben könnte, einer Gruppe, die Stiel-, Schirm- und Würfelquallen umfasst. Möglich wäre aber auch, dass Burgessomedusa ausschließlich eine Urahnin der Würfelquallen war. (Proceedings of the Royal Society B Biological Sciences, 2023; doi: 10.1098/rspb.2022.2490)
Quelle: Royal Ontario Museum