Ur-Ur-Oma der deutschen Spinnen: Paläontologen haben in einem Steinbruch bei Osnabrück das älteste Spinnenfossil Deutschlands entdeckt. Die neuentdeckte Spinnenart Arthrolycosa wolterbeeki lebte vor 310 bis 315 Millionen Jahren – und damit zu einer Zeit, als Norddeutschland noch in Äquatornähe lag und von tropischen Wäldern bedeckt war. Die Spinne gehört zur urtümlichen Gruppe der Gliederspinnen, die heute nur noch in Ostasien vorkommt.
Spinnen waren nicht immer so weit verbreitet und häufig anzutreffen wie heute. Paläontologen gehen davon aus, dass sie in den tropischen Wäldern vor über 300 Millionen Jahren noch ein äußerst seltener Anblick gewesen sein dürften. Umso seltener sind dementsprechend auch Spinnenfossilien aus dieser Zeit, der erdgeschichtlichen Periode des Karbons. Bislang waren nur elf Arten bekannt, die auch eindeutig als Spinnen identifiziert werden können.
Spinnen-Rekordhalterin aus Niedersachsen
Mit Arthrolycosa wolterbeeki ist nun eine zwölfte solche Art hinzugekommen. Gefunden wurden ihre fossilen Überreste im Steinbruch Piesberg bei Osnabrück in Niedersachsen. Ihre Entdeckung knackt außerdem einen tierischen Rekord. Denn das geschätzte Alter von 310 bis 315 Millionen Jahren macht Arthrolycosa zur ältesten Spinne Deutschlands, wie Jason Dunlop vom Museum für Naturkunde Berlin berichtet. Damit überholt sie den bisherigen Rekordhalter, eine Spinne aus dem Jura vor 200 bis 145 Millionen Jahren, nochmal deutlich.
Dunlop zufolge ist das Arthrolycosa-Fossil so gut enthalten, dass sich darin sogar die seidenproduzierenden Spinndrüsen sowie Haare und Krallen an den Beinen erkennen lassen. Die Spinndrüsen seien es auch, die Arthrolycosa als richtige Spinne und nicht bloß als spinnenähnlich ausweisen. Der Forscher geht davon aus, dass der Körper der urzeitlichen Spinne etwa einen Zentimeter lang war. Ihre Beinspannweite dürfte circa vier Zentimeter betragen haben.
Urtümliche Lauerjäger
Der Körperbau von Arthrolycosa mit ihrem segmentierten Hinterleib spricht laut Dunlop außerdem dafür, dass sie zur urtümlichen Gruppe der sogenannten Gliederspinnen gehört. Anders als die meisten heutigen Spinnen besitzen diese noch deutlich erkennbare Hinterleibssegmente. Moderne Vertreter dieser Webspinnen-Untergruppe kommen heute nur noch in Ostasien vor. Sie verbringen den größten Teil ihres Lebens in einem Bau, der von Seidenfäden umgeben ist. Diese fungieren als „Stolperdrähte“, die die Spinnen auf sich nähernde Beute aufmerksam machen.
„Wenn Spinnen aus dem Karbon einen ähnlichen Lebensstil des ‚Sitzens und Wartens‘ in einer Höhle oder einer ähnlichen Art von Rückzugsort hatten, könnte dies erklären, warum sie nur selten mit Gewässern in Berührung kamen, die für ihre Erhaltung als Fossilien notwendig sind“, erklärt Dunlop. Womöglich sind auch deshalb nur so wenige versteinerte Exemplare aus dem Karbon erhalten.
Nah am Äquator
Falls Arthrolycosa wolterbeeki tatsächlich einst „Stolperdrähte“ spann, dann tat sie das in den tropischen Steinkohlewäldern Niedersachsens, das zur Zeit des Karbon noch am Äquator lag. Ihren Lebensraum teilte sich die Spinne unter anderem mit Pfeilschwanzkrebsen, Skorpionen, Süßwassermuscheln und Insekten. Womöglich kreuzte auch der Riesentausendfüßer Arthropleura armata hin und wieder ihren Weg. (Paläontologische Zeitschrift, 2023; doi: 10.1007/s12542-023-00657-7)
Quelle: Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung