Das Glück der Erde: Forscher haben mithilfe genetischer Analysen neue Einblicke in die Geschichte von Mensch und Pferd erlangt. Ihre Ergebnisse offenbaren nicht nur die Existenz zweier bisher unbekannter Pferdelinien. Sie zeigen auch, wie politische Expansionen die Zucht beeinflussten – und dass das Streben nach reinen Rassen in den letzten 200 Jahren zu einem erheblichen Diversitätsverlust im Pferde-Erbgut geführt hat.
Pferde begleiten uns Menschen schon seit tausenden von Jahren. Als unsere Vorfahren die galoppierenden Vierbeiner für sich entdeckten und sie domestizierten, begann eine weltweite Erfolgsgeschichte. „Das Pferd hat die Menschheitsgeschichte so sehr beeinflusst wie kein anderes Tier“, konstatiert Ludovic Orlando von der Universität Toulouse.
Genetische Geschichte im Blick
Der neue Begleiter des Menschen revolutionierte Transport, Handel, Kriegsführung und Landwirtschaft. Später gewann er zunehmend für Sport und Freizeit an Bedeutung. Welche Spuren hinterließ dies im Genom der Pferde? „Unser Ziel war es herauszufinden, inwiefern der Mensch und seine Aktivitäten die Tiere im Laufe der letzten 5.000 Jahre verändert haben“, erklärt der Molekulargenetiker.
Um die genetische Geschichte des Hauspferds zu entschlüsseln, analysierten er und seine Kollegen um Erstautor Antoine Fages das Erbgut von 278 Pferden – darunter DNA von archäologischen Funden sowie Genome heute lebender Pferde. „Diese große Datenmenge ermöglichte es uns, ein viel präziseres Verständnis von der Domestikation und Zucht der Tiere in unterschiedlichen Epochen und Regionen zu entwickeln“, sagt Orlando.
Zwei neue Abstammungslinien
Die Ergebnisse zeigen, dass die evolutionäre Vergangenheit der Pferde komplexer ist als bislang angenommen. So existieren heute lediglich zwei Pferdelinien: das domestizierte Hauspferd (Equus caballus) und das Przewalski-Pferd, ein Abkömmling des sogenannten Botaipferds. Bei ihrer Arbeit identifizierten die Forscher nun jedoch zwei weitere, bisher unbekannte Abstammungslinien – eine aus Sibirien und eine von der Iberischen Halbinsel.
Vertreter dieser inzwischen ausgestorbenen Pferdelinien müssen noch vor rund 4.000 Jahren gelebt haben und damit zu einer Zeit, als die Domestikation des Pferdes bereits begonnen hatte. Trotzdem haben sie dem Team zufolge kaum Spuren im Genom moderner Hauspferde hinterlassen. „Diese Pferde sind weder eng verwandt mit dem heutigen domestizierten Pferd, noch mit dem Przewalski-Pferd“, sagt Orlando.
Kreuzung aus Pferd und Esel
Der Blick in die Gene offenbarte zudem, dass die Menschen in Eurasien ihre lieb gewonnenen Begleiter bereits vor mindestens 2.200 Jahren mitunter auch mit einem anderen Tier kreuzten: dem Esel. Wie Orlando und seine Kollegen berichten, konnten sie zwei Tiere aus einer eisenzeitlichen Fundstelle in Frankreich als Maultiere identifizieren. „Maultiere waren trittsicherer, belastbarer und weniger anfällig für Krankheiten, weshalb sie für frühere Gesellschaften eine wichtige Rolle gespielt haben könnten“, schreiben sie.
Interessanterweise änderten sich die Zuchtgewohnheiten der eurasischen Bevölkerung im Laufe des sechsten bis neunten Jahrhunderts drastisch: Pferde, die vor dieser Zeit in Europa und Zentralasien weit verbreitet waren, kommen heute nur noch in isolierten Regionen wie Island vor. An ihrer Stelle setzten sich Tiere durch, die zuvor hauptsächlich in Persien verbreiteten Pferden genetisch sehr ähnlich sind, wie die Analysen zeigten.
Arabischer Einfluss
Die Wissenschaftler führen den zunehmenden Einfluss dieser Pferdelinien auf islamische Expansionen zu dieser Zeit zurück: „Es war ein Moment, der die Pferdelandschaft in Europa nachhaltig umformte“, sagt Orlando. „Wenn man sich Pferde anschaut, die wir heute als arabische Pferde bezeichnen, sieht man, dass diese einen ganz anderen Körperbau besitzen als beispielsweise Isländer. Womöglich konnten sich die neuen Pferde so erfolgreich durchsetzen, weil sie eine neue Anatomie und vielleicht auch andere nützliche Eigenschaften mitbrachten.“
Auch im vergangenen Jahrtausend hat der Mensch seine Pferde noch nachhaltig verändert, wie die Ergebnisse offenbarten: Neben bestimmten körperlichen Merkmalen gewannen damals unter anderem Eigenschaften wie die Schnelligkeit auf kurzer Distanz an Popularität. „Etliche mit Pferderennen assoziierte Allele, darunter das Speed-Gen MSTN, begannen sich erst im letzten Jahrtausend durchzusetzen“, erklärt das Team.
Ein wesentliches Rätsel bleibt
Am auffallendsten aber ist den Forschern zufolge, dass erst in der jüngeren Vergangenheit die Genvielfalt unter den Pferden drastisch gesunken ist: „Pferdezüchter erhielten Jahrtausende lang eine große genetische Diversität aufrecht“, berichten sie. Das änderte sich vor 300 bis 200 Jahren – wahrscheinlich mit dem Aufkommen der Idee von „reinen Rassen“. „In den letzten 200 Jahren ist die genetische Vielfalt um 16 Prozent gesunken. Dies verdeutlicht den enormen Einfluss moderner Zuchtpraktiken“, so das Team.
Insgesamt liefern die Ergebnisse interessante neue Einblicke in die Geschichte von Mensch und Pferd. Doch damit sind noch längst nicht alle Rätsel geklärt: „Zum Beispiel wissen wir noch immer nicht genau, wann und wo die Vorfahren der heutigen Hauspferde domestiziert wurden. Die Geschichte der Pferde ist von zentraler Bedeutung für die Geschichte der Menschen und doch wissen wir nicht, wo sie begonnen hat. Das ist schon unglaublich“, schließt Orlando. (Cell, 2019; doi: 10.1016/j.cell.2019.03.049)
Quelle: Cell Press