Skurriler Meeresbewohner: Knurrhähne besitzen beinähnlich gegliederte Brustflossen, mit denen die Fische über den Meeresgrund laufen. Und als wäre ein Fisch mit Beinen noch nicht skurril genug, haben Biologen nun auch noch Geschmacksrezeptoren an den Gliedmaßen entdeckt. Knurrhähne nutzen ihre schmeckenden Beine demnach, um damit im Sand verbuddelte Beute aufzuspüren. Diese besondere Anpassung könnte auch mehr über unsere eigene Evolution verraten.
Knurrhähne (Triglidae) gehören zu den ungewöhnlichsten Fischen im Meer – angefangen bei ihrem Namen, der auf knurrende Geräusche zurückgeht, die sie mit ihrer Schwimmblase erzeugen. Und auch das Aussehen der Knurrhähne ist alles andere als gewöhnlich. Ihre Brustflossen ähneln ausladenden Flügeln und bilden gleichzeitig sechs kleine krabbenähnliche Beinchen, mit denen die Fische über den Meeresgrund laufen.
„Sie wussten, dass wir seltsame Tiere mögen“
Doch offenbar erfüllen diese Fischbeinchen noch einen weiteren Zweck, wie Forschende um Corey Allard von der Harvard University nun herausgefunden haben. Geweckt wurde ihr Forschungsinteresse bei einem Besuch im Marine Biological Laboratory von Cape Cod im Jahr 2019: „Wir sahen, dass sie einige Knurrhähne in einem Becken hatten, und sie zeigten sie uns, weil sie wussten, dass wir seltsame Tiere mögen“, sagt Allard.
Als das Team dann noch erfuhr, dass Knurrhähne der Spezies Prionotus carolinus im Sand vergrabene Beutetiere so zuverlässig aufspüren können, dass andere Fische ihnen sogar in der Hoffnung auf einen Happen folgen, war die Idee geboren, mehr über diese außergewöhnlichen Meerestiere und ihre feinen Sinne zu erfahren.
Woher kommt der Supersinn?
Bei Laborexperimenten merkten Allard und seine Kollegen recht schnell, wie überragend der Spürsinn der Knurrhähne tatsächlich ist. Die Fische konnten selbst zermahlenen und gefilterten Muschelextrakt und sogar einzelne Aminosäuren im Sand ihres Beckens zielsicher aufspüren und anschließend mit ihren schaufelförmigen Beinchen ausbuddeln. Aber wie?
Biologen vermuten schon seit Längerem, dass die Beine der Knurrhähne nicht nur zum Laufen und Buddeln gut sind, sondern womöglich auch eigene Sinnesorgane beherbergen. Um diesem Verdacht nachzugehen, untersuchten Allard und sein Team, ob die Beinnerven der Fische charakteristische sensorische Signale übertragen und dem Knurrhahn so zusätzliche Informationen über seine Umgebung liefern.
Knurrhähne schmecken mit den Beinen
Und tatsächlich: Wie sich herausstellte, sind die Beinchen von Prionotus carolinus-Knurrhähnen übersät von sogenannten Papillen – kleinen, warzenförmigen Ausstülpungen der Haut. Wir Menschen besitzen ähnliche Papillen zum Beispiel auf der Zunge: In ihnen sind unsere Geschmacksknospen mitsamt Geschmacksrezeptoren gebündelt.
Überraschenderweise fanden Allard und sein Team auch in den Beinpapillen der Knurrhähne Geschmacksrezeptoren – zusammen mit großen Mengen berührungsempfindlicher Nervenzellen. Knurrhähne „schmecken“ und erspüren demnach den Meeresboden. Das ermöglicht es ihnen, chemische Signaturen und mechanische Reize ihrer Beutetiere wahrzunehmen, selbst wenn diese gut getarnt unter mehreren Schichten Sand vergraben liegen.
Gene für Gliedmaßen und Zunge zugleich
In einer zweiten Studie, diesmal unter der Leitung von Amy Herbert von der Stanford University, ist das Team auch den genetischen Grundlagen für diese besondere Anpassung der Knurrhähne auf den Grund gegangen. Dabei identifizierten die Forschenden einen urtümlichen Transkriptionsfaktor namens tbx3a als Hauptakteur für die Entwicklung der sensorischen Beine. Ohne dieses Gen war sowohl die Beinentwicklung junger Knurrhähne als auch die Bildung ihrer sensorischen Papillen erheblich gestört.
Interessanterweise ähnelt die genetische Ausstattung des Knurrhahns dabei stark unserer eigenen: „Dies ist ein Fisch, dem Beine mithilfe derselben Gene gewachsen sind, die zur Entwicklung unserer Gliedmaßen beitragen, und der diese Beine dann umfunktioniert hat, um Beute mithilfe derselben Gene aufzuspüren, die unsere Zungen zum Schmecken von Nahrung verwenden – ziemlich verrückt“, fasst Koautor Nicholas Bellono von der Harvard University zusammen.
In Zukunft könnten diese genetischen Überschneidungen zwischen Mensch und Fisch vielleicht klären helfen, wie unsere Spezies vor etwa sechs Millionen Jahren den aufrechten Gang entwickelt hat, so die Hoffnung des Forschungsteams. (Current Biology, 2024; doi: 10.1016/j.cub.2024.08.014; doi: 10.1016/j.cub.2024.08.042)
Quelle: Cell Press, Harvard University