Halb, halb: Dieser Kappennaschvogel hat eine männliche und eine weibliche Körperhälfte, was an seiner blauen und grünen Gefiederfärbung erkennbar ist. Ein solcher Gynandromorphismus entsteht, wenn sich eine Eizelle fehlerhaft teilt und dann von zwei Spermien befruchtet wird. Wahrscheinlich hat der beobachtete Vogel auch innerlich eine Seite mit männlichen und eine mit weiblichen Organen. Auf seine Artgenossen scheint der zweigeschlechtliche Vogel allerdings eher abschreckend zu wirken: Sie mieden ihn.
Bei einigen Tieren ist das Geschlecht auf den ersten Blick sichtbar. So trägt etwa das Löwenmännchen eine Mähne und der Hirsch ein Geweih, während ihre jeweiligen weiblichen Gegenstücke dies nicht tun. Ganz selten kann es allerdings auch vorkommen, dass ein Individuum einer Art die äußeren Merkmale beider Geschlechter vereint und je nach Körperhälfte entweder eindeutig männlich oder weiblich aussieht.
Dieses Gynandromorphismus genannte Phänomen kann zum Beispiel bei Schmetterlingen oder Vögeln auftreten. Bei letzteren entsteht es wahrscheinlich, indem sich eine Eizelle fehlerhaft teilt und anschließend von zwei unterschiedlichen Spermien befruchtet wird. Das Ergebnis ist dann eine Chimäre: Eine Körperhälfte des Vogels besteht aus weiblichen, die andere aus männlichen Zellen, was ihm häufig auch äußerlich anhand zweier verschiedener Gefiederfarben anzusehen ist.
Zufallsfund im Urlaub
„Das Phänomen ist bei Vögeln extrem selten. Viele Vogelbeobachter können ihr ganzes Leben lang niemals einen Gynandromorphismus bei einer Vogelart beobachten“, erklärt Hamish Spencer von der University of Otago. Doch durch Zufall ist ausgerechnet er nun Teil dieses erlesenen Kreises geworden. Denn während seines Urlaubes in der kolumbianischen Gemeinde Villamaría hatte ihn der ansässige Hobby-Ornithologe John Murillo auf einen ungewöhnlichen Besucher seines Futterhäuschens aufmerksam gemacht.
Es handelte sich dabei um einen Kappennaschvogel (Chlorophanes spiza). Die knallbunten Nektar- und Fruchtfresser sind von Südmexiko bis Südostbrasilien weit verbreitet. Weibchen sind an ihrem grasgrünen Gefieder zu erkennen, Männchen an den aquamarinblauen Federn und der kappenartigen Zeichnung am Kopf.
Doch das Exemplar in Murillos Futterhäuschen war besonders: „Auf der rechten Seite hatte der Vogel ein typisch männliches und auf der linken Seite ein typisch weibliches Gefieder, obwohl bei diesem Muster einige Federn fehlten, insbesondere am Kopf. Der Schnabel schien der männlichen Färbung zu entsprechen, obwohl die untere linke Seite möglicherweise ein stumpferes Gelb aufwies“, beschreiben Spencer und Murillo gemeinsam mit weiteren Biologen diese Beobachtung.
Zweiter Gynander seiner Spezies
Damit war schnell klar, dass es sich bei dem ungewöhnlichen Kappennaschvogel tatsächlich um einen klassischen Gynander handelte. Bei seiner Spezies war das Phänomen zuvor erst ein Mal beobachtet worden und das auch schon vor über 100 Jahren, wie die Forschenden berichten. Das Exemplar von damals war allerdings genau anders herum gemustert: links männlich, rechts weiblich. Außerdem konnte man den gynandromorphen Vogel damals nicht in seiner natürlichen Umgebung beobachten.
Das aktuelle Exemplar aus Villamaría bot dafür wiederum ideale Gelegenheiten, denn es besuchte das Futterhäuschen fast zwei Jahre lang. Von Oktober 2021 bis Juni 2023 ließ sich der zweigeteilte Kappennaschvogel in der Regel vier bis sechs Wochen am Stück dort blicken und verschwand dann wieder für etwa acht Wochen. Während seiner Besuche zeigte er größtenteils arttypisches Verhalten, allerdings: „Im Allgemeinen mied er andere seiner Art und die anderen mieden ihn ebenfalls“, berichten Spencer, Murillo und Kollegen.
Auch innerlich zweigeteilt?
Ob der Kappennaschvogel-Gynander auch innerlich eine weibliche und eine männliche Körperhälfte mit entsprechenden Organen besitzt, können die Forschenden nicht mit Sicherheit sagen. Es wäre allerdings keine abwegige Vorstellung, denn bei anderen Vögeln mit Gynandromorphismus wurde eine solche Anatomie bereits dokumentiert.
So konnte zum Beispiel in den frühen 2000er Jahren bei einem gynandromorphen Zebrafinken nachgewiesen werden, dass er in seiner weiblichen Körperhälfte einen funktionsfähigen Eierstock und in der männlichen Hälfte einen reifen Hoden besaß. (Journal of Field Ornithology, 2023; doi: 10.5751/JFO-00392-940412)
Quelle: University of Otago