Der Skandal um Dioxin-verseuchte Futter- und Lebensmittel zieht immer weitere Kreise. Nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wurden mehr als 2.700 Tonnen des kontaminierten Futterfettes im November und Dezember 2010 an 25 Futtermittelhersteller in vier Bundesländern geliefert und gelangten von dort in die landwirtschaftlichen Betriebe. Zurzeit sind rund 1.000 Legehennen-, aber auch Schweine-, Puten- und Rinderzuchtbetriebe in verschiedenen Bundesländern deshalb vorsorglich gesperrt.
Die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Behörden der Bundesländer haben damit begonnen aus den Betrieben, die dieses Futtermittel beigemischt haben, Fleisch und Eier auf ihren Dioxingehalt zu untersuchen. Ergebnis: In vielen Proben waren die zulässigen Höchstwerte für krebserregendes Dioxin deutlich überschritten.
„Landwirtschaftliche Betriebe, die unter Verdacht stehen, dürfen erst wieder freigegeben werden, wenn die Proben unbedenklich sind“, forderte Bundesministerin Ilse Aigner. Experten gehen jedoch davon aus, dass viele Dioxin-belastete Eier und große Mengen an Fleisch bereits in den Handel gekommen beziehungsweise verzehrt worden sind.
BUND fordert Rückrufaktion aus dem Kühlschrank
„Die jetzigen Rückrufaktionen im Handel reichen nicht aus“, sagte dazu Reinhild Benning, Agrarexpertin des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Seit mindestens Mitte Dezember liegen erste Dioxin-Hinweise vor. Vermutlich sind viele seither gekaufte Eier und Fleischprodukte noch nicht verspeist. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner darf keinen Moment zögern, die Markennamen und Chargen, die betreffenden Handelsketten und die Zeiträume zu nennen, die belastete Ware betreffen. Es muss eine Rückrufaktion aus dem Kühlschrank geben“, so Benning.
Keine akute Gefährdung
Doch auch die Verbraucher, die bereits belastete Eier oder kontaminiertes Fleisch gegessen haben, müssen offenbar nicht um ihre Gesundheit fürchten. „Eine akute Gefährdung mit Symptomen wie Chlorakne, was man von Dioxin kennt, oder Kopfschmerzen, Übelkeit wird es nicht geben – dafür sind die Konzentrationen zu gering“, erläuterte der Chemieexperte Manfred Santen von Greenpeace in einem Interview.
„Das Problem ist die chronische Toxizität. Keiner weiß, wie viel Dioxin beispielsweise Krebs auslösen kann oder wie viel Dioxin den Hormonhaushalt stören kann. Man weiß einfach nur, dass Dioxin diese Eigenschaften hat und dass es auch in geringen Konzentrationen zu solchen Krankheiten kommen kann. Deshalb gilt das Vorsorgeprinzip: Dioxin hat nichts im Essen zu suchen.“
Dioxinskandal systembedingt?
Nach Ansicht vieler Umweltschutzorganisationen ist der aktuelle Dioxinskandal vor allem systembedingt. „Das Wachstum der Massentierhaltung und der Futtermittelindustrie vergrößert das Risiko für die Verbraucher. Bei weiter steigenden Rohstoffpreisen begünstigt der Kostendruck zudem Missstände wie die Dioxinpanscherei in Futtermitteln. Staatliche Kontrollen sind trotz der regelmäßig wiederkehrenden Skandale nicht in angemessenem Umfang ausgebaut worden“, sagte Jochen Fritz von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).
10 Punkte-Plan in NRW
Mittlerweile haben Politiker in den betroffenen Bundesländern jedoch auf die jüngsten Dioxin-Enthüllungen reagiert. So legte das NRW-Verbraucherschutzministerium beispielsweise einem 10 Punkte-Plan vor, um solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern.
Dieser sieht etwa eine Trennung von Produktionsströmen, eine Einführung einer Positivliste mit Stoffen, die in der Tierfütterung eingesetzt werden dürfen und eine behördliche Zulassungspflicht für Fett verarbeitende Betriebe vor. Darüberhinaus sollen die Eigenkontrollen der Futtermittelwirtschaft verdichtet, amtliche Kontrollen erhöht und effizienter gestaltet und stärkere Anreize für den Ausbau des Ökolandbaus gegeben werden.
Schwachstellen der Lebensmittelkette
„Der aktuelle Skandal mit Dioxin belasteten Futtermitteln hat uns einmal mehr die Schwachstellen der Lebensmittelkette vor Augen geführt. Wir müssen dem Verbraucherschutz Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen Einzelner geben“, sagte Verbraucherschutzminister Johannes Remmel in Düsseldorf.
(Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BUND, Greenpeace, Bundesregierung online, Vier Pfoten, Landesregierung NRW, 06.01.2011 – DLO)