Frühe Vermischung: DNA-Analysen liefern neue Erkenntnisse zu den ersten Ur-Europäern – und ihren Kreuzungen mit Neandertalern. Demnach begann diese Vermischung von Homo sapiens und Neandertaler schon vor rund 50.500 Jahren und hielt etwa 7.000 Jahre an, wie Forschende in „Science“ und „Nature“ berichten. Die Analysen enthüllen aber auch, wie die ersten Ur-Europäer in Mitteleuropa aussahen und wie sie miteinander verwandt waren. Unter ihnen ist auch die berühmte „Frau von Zlaty kun“.
Bereits kurz nachdem die ersten Vertreter des Homo sapiens aus Afrika nach Eurasien gekommen waren, pflanzten sie sich gemeinsam mit den dort lebenden Neandertalern fort. Neandertaler-Gene, die einen evolutionären Vorteil bei der Anpassung an den neuen Lebensraum bedeuteten, finden sich bis heute in unserem Erbgut. Doch wann genau begann und endete die Phase der genetischen Vermischung? Und welche Neandertaler-Einflüsse zeigen sich im Erbgut der ältesten Homo sapiens Mitteleuropas?
Ein Team um Leonardo Iasi vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat dies nun genauer untersucht. Dafür analysierten die Forschenden die Genome von 275 heutigen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt sowie von 59 frühen Homo sapiens, die vor 2.200 bis 45.000 Jahren lebten. Dabei werteten sie die Länge und Anzahl der Neandertaler-Segmente im Erbgut aus. Je kürzer die Kreuzung zurückliegt, desto längere zusammenhängende Fragmente von Neandertaler-DNA finden sich typischerweise im Erbgut.
Wie die Paläoanthropologen berichten, konnten sie auf diese Weise die Zeit der Vermischung genauer und zuverlässiger datieren als zuvor. „Wir fanden starke Belege für eine einzige ausgedehnte Periode des Neandertaler-Genflusses, die vor 50.500 bis 43.500 Jahren stattfand“, erläutern Iasi und sein Team. „Dieser Zeitraum stimmt gut mit den archäologischen Belegen für die zeitliche Überschneidung von Neandertalern und modernen Menschen in Europa überein.“
Den Forschenden zufolge ist diese Datierung auch deshalb wichtig, weil sie belegt, dass Homo sapiens schon vor 50.500 Jahren Regionen außerhalb Afrikas erschloss. Schon zu dieser Zeit kreuzte sich unsere Spezies auch in Europa mit den Neandertalern. Zudem zeigen die Ergebnisse, welche Genvarianten sich durchsetzen konnten und welche nicht.
So enthalten manche Regionen unseres Genoms besonders viele Neandertaler-Abschnitte, die unter anderem unser Immunsystem, unsere Hautfarbe und unseren Stoffwechsel beeinflussen und wahrscheinlich die Anpassung an das rauere Klima Europas erleichterten. „Die Tatsache, dass wir einige dieser Regionen bereits in 30.000 Jahre alten Proben finden, zeigt, dass sie zum Teil tatsächlich kurz nach der Vermischung angepasst wurden“, sagt Koautorin Manjusha Chintalapati von der University of California in Berkeley.
An anderen Stellen des Genoms dagegen finden sich keinerlei Spuren von Neandertaler-DNA – auch nicht bei den prähistorischen Individuen. „Neandertaler-Varianten, die für den modernen Menschen schädlich gewesen sein könnten, wurden offenbar durch evolutionäre Prozesse schnell eliminiert“, erläutert Chintalapati.
Während die Studie von Iasi und seinem Team auf bereits veröffentlichten Genomen basiert, hat ein zweites Team um Iasis Kollegin Arev Sümer die Genome einiger der ältesten bekannten Ur-Europäer neu analysiert. Erstmals sequenzierten sie dafür die DNA von sechs Vertretern des Homo sapiens aus der Ilsenhöhle im thüringischen Ranis, die vor etwa 45.000 Jahren gelebt haben. Zusätzlich sequenzierten sie erneut das Genom der „Frau von Zlaty kun“ aus Tschechien, die etwa zur gleichen Zeit lebte.
Frühere Analysen der Fossilien aus Zlaty kun hatten bereits gezeigt, dass diese Ur-Europäerin in einigen Schädelmerkmalen eher den Neandertalern ähnelte. Das weckte den Verdacht, dass diese Frau auf erst kurze Zeit zurückliegende Kreuzungen beider Menschenarten zurückging. Ihr Erbgut könnte dadurch noch besonders viel Neandertaler-DNA enthalten, so die Vermutung. DNA-Analysen moderner Menschen aus Osteuropa hatten Hinweise auf solche zusätzlichen Vermischungen nahegelegt.
Doch kein erhöhter Neandertaler-Anteil
Überraschenderweise bestätigen die aktuellen DNA-Analysen dies aber nicht: In den Genomen der Frau aus Zlaty kun und auch der Ur-Europäer aus Ranis fanden Sümer und ihre Kollegen keine Hinweise auf eine erst kurz zurückliegende Vermischung mit Neandertalern. Stattdessen gehen die Neandertaler-Anteile dieser Ur-Europäer auf dieselbe Kreuzungsphase zurück, die schon Iasi und sein Team identifiziert haben.
„Die Genome enthalten Neandertaler-Segmente, die auf ein einziges Vermischungsereignis zurückgehen, das wir auf die Zeit vor etwa 45.000 bis 49.000 Jahren datieren“, berichten Sümer und ihr Team. Ihrer Ansicht hat nach legt dies nahe, dass die Frau von Zlaty kun, die Menschen von Ranis und andere frühe Ur-Europäer zu einer zusammenhängenden Population der „Auswanderer“ aus Afrika gehörten.
Verwandte in Deutschland und Tschechien
Zusätzlich enthüllten die DNA-Analysen auch die Verwandtschaftsverhältnisse der Ur-Europäer. Demnach gehörten die Menschen aus Ranis zu einer Familie. Unter anderem identifizierte das Team ein Mutter-Tochter-Paar. Doch nicht nur das: „Zu unserer großen Überraschung entdeckten wir eine genetische Verwandtschaft fünften oder sechsten Grades zwischen der Frau aus Zlaty kun und zwei Individuen aus Ranis“, berichtet Sümer.
Im Erbgut heutiger Europäer hat die Familie aus Ranis allerdings keine Spuren hinterlassen. Die Population stellt somit die früheste bekannte Abspaltung von der Population moderner Menschen dar, die sich später über ganz Eurasien verbreitete. Dass ihr Erbgut dennoch einige der gleichen Neandertaler-Sequenzen enthält wie das heutiger Menschen, zeigt, dass die Vermischung bereits vor der Abspaltung begonnen haben muss. (Science, 2024, doi: 10.1126/science.adq3010; Nature, 2024, doi: 10.1038/s41586-024-08420-x)
Quellen: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, University of California Berkeley