Traurige Bilanz: Am Bodensee gibt es immer weniger Vögel. Wie eine Bestandsaufnahme enthüllt, hat die Region innerhalb von nur 30 Jahren 120.000 Brutpaare verloren – das entspricht rund 25 Prozent. Betroffen von dem Populationsrückgang sind vor allem Feld- und Wiesenvögel. Doch selbst „Allerweltsvögel“ wie die Amsel schwinden zusehends. Die Forscher befürchten, dass die Befunde vom Bodensee auch auf andere Regionen Deutschlands übertragbar sind.
Mit ihren vielfältigen Ökosystemen und ihrer Lage im Voralpenland bietet die Bodenseeregion hervorragende Lebensbedingungen für viele Vogelarten – zumindest war das einmal so. Zuletzt jedoch scheinen sich in dem Gebiet immer weniger Vögel wohlzufühlen, wie eine aktuelle Bestandsaufnahme eindrücklich zeigt: Die Region hat innerhalb von nur 30 Jahren 120.000 Brutpaare verloren.
Zu diesem besorgniserregenden Ergebnis kommen nun Forscher um Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell, nachdem sie zwischen 2010 und 2012 sämtliche Vögel auf einer Fläche von etwa 1.100 Quadratkilometern rund um den Bodensee gezählt haben. Die dabei gesammelten Informationen verglichen sie anschließend mit auf dieselbe Weise erhobenen Daten aus dem Zeitraum von 1980 bis 1981.
„Erschütternde Zahlen“
Die Auswertungen offenbarten: Lebten 1980 noch rund 465.000 Brutpaare am Bodensee, waren es 2012 nur 345.000 – das ist ein Verlust von 25 Prozent. Häufig vorkommende Arten wie Amsel, Star und Haussperling sind demnach besonders stark zurückgegangen. Die Bestände des Spatzes – einst die häufigste Art – brachen zum Beispiel um 50 Prozent ein. „Das sind wirklich erschütternde Zahlen“, sagt Bauer.
Dabei scheint die Bilanz der Zählungen auf den ersten Blick recht ausgewogen: Von den 158 rund um den Bodensee vorkommenden Vögeln haben 68 Arten in Bezug auf ihre Populationsgröße zu- und 67 abgenommen. Da jedoch ausgerechnet die zahlenmäßig traditionell am stärksten vertretenen Spezies die größten Verluste verzeichnen, ist die Gesamtzahl der brütenden Paare dennoch gesunken, wie die Wissenschaftler erklären.
Agrarlandschaften besonders betroffen
Auffällig ist, wie unterschiedlich die einzelnen Lebensräume vom Vogelschwund betroffen sind. Den Ergebnissen zufolge gehen die Vogelpopulationen vor allem in den Landschaften zurück, die vom Menschen intensiv genutzt werden. Dies betrifft insbesondere die Agrarlandschaft: 71 Prozent der auf Wiesen und Feldern lebenden Arten verzeichnen zum Teil drastische Bestandseinbrüche. Das einstmals in der Agrarlandschaft häufige Rebhuhn etwa ist rund um den Bodensee inzwischen ausgestorben.
Bauer und seine Kollegen führen dies auf den Verlust von Lebensraum und Nahrung zurück. So lassen die modernen Erntemethoden kaum noch Sämereien für körnerfressende Arten übrig und auch Insektenfresser finden auf den Feldern und Äckern immer weniger Beute. Allein 75 Prozent der Fluginsekten-fressenden Vogelarten sind in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, wie das Forscherteam herausfand. „Dies bestätigt, was wir schon länger vermutet haben: Das durch den Menschen verursachte Insektensterben wirkt sich massiv auf unsere Vögel aus“, erklärt Bauer.
Bestandeinbrüche auch in der Stadt
Damit bestätigt die Erhebung einen Trend, der sich schon länger abzeichnet: Bereits Anfang des Jahres hatten Forscher berichtet, dass in Europa die Hälfte der Feldvögel verschwunden ist. Doch nicht nur aus Wiesen und Feldern verschwinden am Bodensee die Vögel – auch in den Dörfern und Städten sieht man sie immer weniger.
„Offensichtlich können die Tiere inmitten der Häuserschluchten, Zierbäume und sauberen Nutzgärten immer seltener erfolgreich brüten“, berichtet Bauer. Selbst „Allerweltsvögel“ wie Amsel, Buchfink und Rotkehlchen leiden offenbar massiv unter den sich verschlechternden Lebensbedingungen im Siedlungsbereich.
Keine Besserung in Sicht
Vergleichsweise gut geht es den Vögeln dagegen noch im Wald und an den Gewässern. Zwar gehen auch in diesen Lebensräumen einige Vogelarten zurück. Doch es gibt auch etliche Gewinner: zum Beispiel den Höckerschwan und den Buntspecht. Letzterer hat im Laufe des Untersuchungszeitraums einen Zuwachs von 84 Prozent geschafft.
Alles in allem gibt die Situation am Bodensee jedoch Anlass zur Sorge – vor allem, da es den Forschern zufolge kaum Anzeichen für eine Verbesserung gibt. „Die Lebensbedingungen für Vögel rund um den Bodensee haben sich in den letzten sieben Jahren eher weiter verschlechtert. Die Bestandszahlen sind deshalb inzwischen vermutlich noch weiter gesunken“, betont Bauer.
Auch in anderen Regionen?
Er und seine Kollegen befürchten zudem, dass der Bodensee exemplarisch für viele andere Regionen Deutschlands steht. Denn die Veränderungen seiner Natur in den letzten Jahrzehnten sind typisch für dicht besiedelte Gebiete mit intensiver Land- und Forstwirtschaft. „Der Einbruch in den Bestandszahlen vieler Arten, wie wir sie am Bodensee festgestellt haben, findet deshalb mit großer Sicherheit auch in anderen Regionen statt“, schließt Bauer. (Vogelwelt, 2019)
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft