Eine Echse bringt Biologen in Erklärungsnöte. Denn beim Steppenwarann haben sie eine Atemstrategie entdeckt, die man bisher für eine Spezialanpassung vor allem der Vögel hielt. Denn diese atmen nicht ein und aus, sondern lassen die Luft nur in eine Richtung durch ihre Lunge strömen. Genau dies tut auch der Waran, wie US-Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Das wirft Theorien zum Sinn dieser evolutionären Anpassung über den Haufen und auch dazu, wann Vogelvorfahren diese Atemtechnik erfanden.
Bei uns ist das Atmen ein stetes, abwechselndes Ein und Aus: Die Luft tritt über unsere Bronchien in die Lunge ein und wird dort über immer feinere Verästelungen bis in die Lungenbläschen geleitet. Dort nimmt das Blut den Sauerstoff auf und die verbrauchte Atemluft macht sich wieder auf den Rückweg – zurück über Bronchiolen, Bronchien, Luftröhre und Mund nach draußen. Dieses System funktioniert bestens, hat aber einen Nachteil: Bevor wir neue Luft schöpfen können, muss erst die alte Luft hinaus.
Einbahnstraße bringt mehr Sauerstoff in die Lungen
Bei Vögeln ist das etwas anders geregelt: Aus ihren Luftsäcken strömt die Luft nur in eine Richtung durch ihre Lungen. Ein System von Ventilen sorgt dafür, dass sie nicht zurückfließt, sondern über einen anderen Ausgang abgeleitet wird. „Dieser nur in eine Richtung fließende Luftstrom in der Lunge der Vögel galt lange Zeit als hochspezialisierte und einzigartige Anpassung an ihren hohen Sauerstoffverbrauch beim Fliegen“, erklären Emma Schachner von der University of Utah in Salt Lake City und ihre Kollegen. Denn auf diese Weise können die Vögel für einen fast konstanten Sauerstoffnachschub sorgen.
Im Jahr 2010 jedoch entdeckten Forscher, dass auch Alligatoren einen solchen Einbahnstraßen-Luftstrom besitzen. Das überraschte zunächst. Denn diese Entdeckung deutete darauf hin, dass schon die gemeinsamen Vorfahren der Krokodile, Dinosaurier und Vögel vor rund 250 Millionen Jahren diese Atemtechnik entwickelt haben mussten. Aber warum? Als mögliche Erklärung galt nun eine Anpassung an die zu dieser Zeit vorübergehend sehr niedrigen Sauerstoffgehalte der Erdatmosphäre.
3D-Modell und künstliche Beatmung
Jetzt aber scheint auch dieses Szenario nicht mehr zu passen. Denn Schachner und ihre Kollegen haben nun die Einbahnstraßen-Atmung nun bei einem weiteren Reptil entdeckt – einem Steppenwaran (Varanus exanthematicus) und damit einem zu einer wieder anderen Reptiliengruppe gehörenden Tier. Diese Echsen besitzen große, vielkammerige Lungen, die beiderseits zweier zentraler Bronchien angeordnet sind.
Um herauszufinden, wie die Luft in diesen Echsenlungen strömt, erstellten die Forscher zunächst auf Basis von computertomografischen Aufnahmen ein 3D-Modell der inneren Architektur des Atemorgans. Zudem pflanzten sie fünf lebenden Steppenwaranen kleine Strömungsmesser in die Bronchien ein, um zu ermitteln, in welche Richtung der Luftstrom dort geht. Zusätzlich führten sie Versuche mit zehn toten Waranen durch, denen sie Luft und markiertes Wasser in die Atemwege pumpten, um deren genauen Weg nachvollziehen zu können.
Alle Experimente zusammen ergaben ein überraschendes Bild: Die Luft fließt aus den Lungenkammern nicht direkt wieder zurück in die Bronchien. Stattdessen strömt sie über gazeartige Öffnungen quasi in einer Abkürzung von einer Kammer zur nächsten. Erst nach einer Tour durch fast die komplette Lunge wird sie wieder hinaus geleitet und ausgeatmet. Mit anderen Worten: Auch der Steppenwaran hat in seiner Lunge eine Einbahnstraßen-Regelung.
Sinn der Anpassung noch rätselhaft
„Das zeigt, dass diese Atemtechnik viel verbreiteter und älter ist als wir bisher dachten“, erklärt Schachners Kollegin Colleen Farmer. Denn die Vorfahren der Warane spalteten sich bereits vor rund 270 Millionen Jahren von den restlichen Reptilien ab. Auch auf die Umwelt, in der sich diese Anpassung erstmals entwickelte wirft dies ein ganz neues Licht. „Wenn sich diese Einbahnstraßen-Atmung bei einem gemeinsamen Vorfahren von Vögeln, Alligatoren und Waranen entwickelte, geschah dies zu einer Zeit, als der Sauerstoffgehalt der Luft noch sehr hoch war“, sagt Schachner.
Es stellt sich daher die Frage, welche Vorteile dieses Atmungssystem damals diesen Tieren brachte. „Wir stehen nun vor einem noch tieferen Rätsel, was den evolutionären Ursprung dieser Einbahnstraßen-Atmung angeht“, konstatiert die Forscherin. Sie und ihre Kollegen wollen nun die Atmung von Waranverwandten wie den Leguanen und Geckos untersuchen, um herauszufinden, ob diese Atemstrategie tatsächlich bei einem frühen Vorfahren dieser Reptilien entstand oder ob die Warane ihre luftige Einbahnstraße vielleicht doch unabhängig vom Rest der Reptilien und Vögel entwickelten. Allerdings bliebe auch dann die Frage nach dem Warum. (Nature, 2013; doi: 10.1038/nature12871)
(Nature, 12.12.2013 – NPO)