Die Fahndung nach der EHEC-Quelle hat endlich einen Treffer gelandet: Im Müll einer Familie mit drei Erkrankten in Nordrhein-Westfalen haben die Behörden den aggressiven Erregerstamm O 104 an Sprossen nachgeweisen. Und: Die Sprossen stammen aus dem schon seit einigen Tagen verdächtigten Betrieb im niedersächsischen Bienenbüttel. Kurz zuvor hatten die Behörden bereits die Warnung vor Gurken, Salat und Tomaten aufgehoben und stattdessen offiziell vor Sprossen gewarnt.
In Nordrhein-Westfalen hat das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Rhein-Ruhr-Wupper EHEC-Bakterien in einer Packung Sprossen nachgewiesen. Es handelt sich um den aggressiven Serotyp O 104. Allerdings war die Packung geöffnet und befand sich bereits in der Mülltonne eines Haushalts im Rhein-Sieg-Kreis. Zwei der drei in diesem Haushalt lebenden Familienmitglieder haben Sprossen verzehrt und sind Mitte Mai an den EHEC-Bakterien erkrankt. Die Sprossen stammen nach den bisherigen Erkenntnissen aus dem Betrieb im niedersächsischen Bienenbüttel.
Geschlossene Nachweiskette gegen Sprossenproduzent
Schon vor dem Nachweis der Erreger war die Indizienkette gegen diesen Sprossen-Produzenten so belastend, dass Behörden davon ausgingen, dass der EHEC-Ausbruch hier seinen Ausgang genommen hat. Ob der Eintrag des Ausbruchserregers in den Gartenbaubetrieb durch Personen erfolgte oder über Wasser, Vorlieferanten oder Saatgut, ist noch nicht bekannt. Dieses wird derzeit durch eine Überprüfung der Lieferbeziehungen und durch Labortests untersucht. Andere Eintragsquellen im Betriebsbereich können derzeit noch nicht ausgeschlossen werden.
Mit dem jetzigen Nachweis des EHEC-Erregers auf Sprossen aus diesem Betrieb ist erstmalig eine ununterbrochene Kette vom Betrieb in Bienenbüttel zu erkrankten Personen hergestellt. NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel: „Der Fund bestätigt unsere aktuelle Warnung vor dem Verzehr von Sprossen. Es wird damit immer wahrscheinlicher, dass Sprossen die Ursache der EHEC-Erkrankungen sind.“ Da aber nur eine geöffnete und keine geschlossene Packung untersucht wurde, verbleibt ein Rest an Unsicherheit. „Auch deshalb rufen wir weiterhin zur Einhaltung strenger Hygiene und besonderer Vorsicht im Umgang mit rohen Lebensmitteln auf“, so Remmel.
Die Behörden wollen jetzt zudem weitere Untersuchungen und Analysen der Vertriebswege vornehmen, um zu überprüfen ob kontaminiertes Saatgut für die Herstellung von Sprossen in anderen Erzeugerbetrieben verwendet wird oder auf den Markt kommt. Da eine mögliche Quelle des Eintrags auch das verwendete Sprossen-Saatgut sein kann, kommen theoretisch auch andere sprossenproduzierende Betriebe als mögliche Verteiler von EHEC O104:H4 in Frage. Unter anderem deshalb empfehlen die Behörden, über die üblichen Hygienemaßnahmen hinaus, vorsorglich bis auf weiteres Sprossen nicht roh zu verzehren. Haushalten und Gastronomiebetrieben wird empfohlen noch vorrätige Sprossen sowie möglicherweise damit in Berührung gekommene Lebensmittel zu vernichten.
Anzahl der Neuinfektionen geht zurück
Das Robert-Koch-Institut meldet inzwischen, dass die Anzahl neuer EHEC-Infektionen zurückgeht. In den betroffenen Krankenhaus-Notaufnahmen nimmt die tägliche Zahl von neuen Patienten mit blutigem Durchfall ebenso ab wie der Anteil erkrankter Frauen in den betroffenen Regionen. Zum anderen haben mathematische Modellierungen ergeben, dass trotz später eintreffender Meldungen ein absteigender Trend sowohl in Bezug auf das Erkrankungsdatum als auch in Bezug auf den Zeitpunkt der Aufnahme ins Krankenhaus zu beobachten ist. Dieser Rückgang könnte auf eine Veränderung im Verzehrverhalten der Bevölkerung hinsichtlich Gurken, Tomaten und Blattsalaten – und damit auch indirekt Sprossen – oder auf ein Versiegen der Infektionsquelle zurückzuführen sein.
Task-Force eingerichtet
Zur Unterstützung der Aufklärung des länderübergreifenden Ausbruchgeschehens haben sich Bund und Länder entschieden, eine Task Force am BVL anzusiedeln, in der Experten mehrerer Bundesländer, des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, des Bundesinstituts für Risikobewertung und des Robert Koch-Instituts beteiligt sind und die von Fachexperten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA sowie der Europäischen Kommission unterstützt wird. Der Auftrag dieser Task Force besteht darin, die epidemiologischen Erkenntnisse über einzelne Ausbruchscluster mit den bei den Lebensmittelaufsichtsbehörden vorhandenen Informationen zu den dazugehörenden Lieferketten länderübergreifend zu analysieren. Cluster sind z.B. Hotels, Restaurants und Kantinen, in denen Menschen gegessen haben und in der Folge erkrankt sind.
Mehr zum Thema in unserem Special: EHEC-Epidemie in Deutschland
(BVL, RKI, BfS, NRW, 10.06.2011 – NPO)