Drohender Artenschwund in Nord- und Ostsee: Mindestens ein Drittel aller Tiere und Pflanzen in den deutschen Küsten- und Meeresgebieten sind gefährdet, wahrscheinlich sogar noch mehr. Das zeigt die jetzt vorgestellte neue Rote Liste der Meeresorganismen. Vor allem viele Fischarten, aber auch Großalgen und wirbellose Organismen gehen in ihren Beständen zurück oder sind sogar akut vom Aussterben bedroht. Damit ist die Situation in Nord- und Ostsee kaum besser als im Binnenland.
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat mit der aktuellen Rote Liste die bisher umfassendste nationale Gefährdungsanalyse für Meeresorganismen vorgelegt. Sie entstand in sechsjähriger Arbeit und beruht auf der Anaylse der Bestände und Bestandsentwicklung von 1.745 Arten. Neben 94 Fischarten erfassten die Forscher dafür zehn Tierstämme der Wirbellose, darunter Nesseltiere, Weichtiere, Krebse und andere. Außerdem wurden 350 Arten von Makroalgen untersucht.
Situation hat sich verschärft
Das Ergebnis ist wenig positiv: Von allen untersuchten Arten der Fische, bodenlebenden Wirbellosen und Großalgen der deutschen Küsten- und Meeresgebiete stehen 30 Prozent auf der Roten Liste und sind damit als gefährdet einzustufen. Die Forscher vermuten jedoch, dass die Zahl der bedrohten Arten noch höher sein könnte: „Bei etwa einem Drittel der Arten gibt es noch nicht genügend Informationen, um ihre Gefährdung hinreichend einschätzen zu können“, sagt BfN-Präsidentin Beate Jessel. „Darunter befinden sich erfahrungsgemäß immer auch unentdeckte Rote-Liste-Arten.“ Eindeutig nicht gefährdet sind nur 31 Prozent der Tier- und Algenarten, so die Forscher.
Und auch eine positive Tendenz ist leider nicht abzulesen: Denn ein Vergleich mit früheren Erhebungen zeigt, dass es nur wenige Arten es geschafft haben, ihre Bestände nach früheren Rückgängen zu stabilisieren. Zwar hat beispielsweise die Zahl der Hummer in den letzten zehn bis 25 Jahren wieder leicht zugenommen, dafür haben seither andere Arten wie der Einsiedlerkrebs und die Aalmutter abgenommen.
Bei den Fischen hat sich im Vergleich zur vorhergehenden Roten Liste aus dem Jahr 1998 die Gefährdungssituation insgesamt verschärft, so die Forscher. Starke Rückgänge gibt es unter anderm bei Aalen, Schellfisch und Sternrochen. Die europäischen Aale wurden von Stufe 2 (gefährdet) auf Stude 3 (stark gefährdet) hochgesetzt. Aber auch die Situation von Knorpelfischen wie Dornhai und Glattrochen sei kritisch und habe sich weiter verschärft, so Jessel. Dabei gibt es auch Unterschiede zwischen Nord- und Ostsee. Im deutschen Nordseegebiet sind deutlich mehr Fischarten gefährdet: Dort sind es 27 Prozent, in der Ostsee nur 17.
Fischerei und Überdüngung sind Hauptschuldige
Eine Hauptursache für den fortschreitenden Artenschwund ist nach Angaben der Forscher die Fischerei mit Grundschleppnetzen, die selbst in den Meeresschutzgebieten weitgehend unreguliert stattfindet. Zusätzlich werden die am Meeresgrund vorkommenden Organismen wie Schwämme und Muscheln oder die Lebensgemeinschaften der Sandkorallenriffe beeinträchtigt.
Aber auch die Nährstoffeinträge über Flüsse und Küsten tragen zur Gefährdung der Meeresorganismen bei. Denn sie führen zu Algenblüten, verringern den Lichteinfall in größere Tiefen und erhöhen die Schwebstofffracht im Wasser. Das wiederum macht vielen Großalgen und wirbellosen Tierarten zu schaffen. Abbau- und Baggerarbeiten – beispielsweise für Pipelines, Windanlagen oder andere Bauten zerstören zudem den Lebensraum fest sitzender Arten schlagartig.
(Bundesamt für Naturschutz, 12.05.2014 – NPO)