Schneller Schwimmer mit Krokodilsmaul: Ein vor gut 100 Jahren bei Hannover entdecktes Kreidezeit-Fossil hat sich nun als ganz besonderer Fund entpuppt – als ein neuer Vertreter der schuppenlosen Meereskrokodile. Das vor 135 Millionen Jahren lebende Reptil besitzt ungewöhnlich große Augen und Merkmale eines schnellen Schwimmers. Die Enalioetes schroederi getaufte Art ist zudem einer der jüngsten Vertreter dieser im Jura und in der frühen Kreidezeit verbreiteten Meereskrokodile, wie Paläontologen berichten.
Im Jura und während der Kreidezeit ähnelte Europa einer von warmen, flachen Meeresgebieten durchbrochenen Inselwelt. Auf ihr lebten neben Dinosauriern und frühen Vögeln auch urzeitliche Krokodile. Anders als ihre heutigen Nachfahren hielten sich einige dieser Urzeitkrokodile aber nicht nur zeitweilig im Wasser auf, sondern waren komplett an ein Leben im Ozean angepasst: Sie besaßen Flossen statt Beine und ihre Haut war schuppenlos und glatt wie die eines Delfins.
Zahlreiche Fossilien dieser Meeressaurier aus der Gruppe der Metriorhynchidae wurden schon vor gut 200 Jahren unter anderem im feinkörnigen Plattenkalk Süddeutschlands, aber auch weiter nördlich gefunden.
Vor 100 Jahren entdeckt, dann verschollen
Jetzt haben Paläontologen eines dieser deutschen Krokodilsfossilien noch einmal näher unter die Lupe genommen – und Überraschendes entdeckt. Bei dem untersuchten Fossil handelt sich um einen 135 Millionen Jahre alten intakten Schädel samt ersten Halswirbeln, der vor mehr als 100 Jahren in einem Steinbruch in Sachsenhagen nahe Hannover gefunden wurde. „Dieser Fund ist bemerkenswert, weil er eines von nur wenigen Metriorhynchiden-Fossilien ist, von dem es einen dreidimensional erhaltenen Schädel gibt“, erklärt Erstautor Sven Sachs vom Naturkundemuseum Bielefeld.
Allerdings war bisher unklar, um welchen Meeressaurier es sich bei dem Fund handelt. Er wurde erst der kaum erforschten Gattung Enaliosuchus, dann dem Cricosaurus zugeordnet. Weil das Fossil zudem jahrzehntelang als verschollen galt, blieb seine Identität ungeklärt. Erst vor kurzem wurde das Fossil im Museum von Minden wiederentdeckt. „Das hat es uns erlaubt, den Schädel mittels Computertomografie zu scannen und so mehr über die interne Anatomie dieses Meereskrokodils zu erfahren“, sagt Sachs. „Wir konnten die Hohlräume im Schädel und sogar das Innenohr des Tieres rekonstruieren.“
Ein großäugiger schneller Jäger
Diese Scans enthüllten: Das lange rätselhafte Fossil gehört einer zuvor unbekannten Gattung und Art der Meereskrokodile an. „Die neue Art unterscheidet sich von allen bekannten Metriorhynchiden durch eine einzigartige Kombination von Merkmalen“, berichten die Paläontologen. So hatte dieses Meereskrokodil zwar wie alle seine Verwandten keine Schuppen sowie Flossen statt der Beine. Zusätzlich war die Enalioetes schroederi getaufte Krokodil aber noch stärker an die Beutejagd im offenen Meer angepasst.
„Enalioetes hatte noch größere Augen als die anderen Meereskrokodile, deren Sehorgane ohnehin schon größer als die anderer Krokodile waren“, erklärt Koautor Mark Young von der University of Edinburgh. „Ihre verknöcherten Innenohren waren zudem noch kompakter als bei anderen Metriorhynchiden – das ist ein Indiz dafür, dass Enalioetes ein noch schnellerer Schwimmer war als sie.“
Einer der letzten Vertreter der Meereskrokodile
Das bei Hannover entdeckte fossile Meereskrokodil bietet damit einen neuen Einblick in die marine Lebenswelt Europas vor 135 Millionen Jahren. Der Fund belegt, dass es die Meereskrokodile nicht nur im Mitteleuropa des Jura-Zeitalters gab, sondern auch noch bis in die Kreidezeit hinein. Gleichzeitig erweitert das Fossil das Spektrum der schuppenlosen Meereskrokodile um eine weitere Gattung.
„Enalioetes schroederi trägt zum spärlichen Bestand der kreidezeitlichen Metriorhynchiden bei und repräsentiert eines der stratigrafisch jüngsten Vorkommen dieser Meeressaurier-Gruppe“, schreiben Sachs und seine Kollegen. „Dieser Fund kann damit zu beitragen, unser Wissen über die Meeressaurier-Vielfalt in der Kreidezeit zu erweitern.“ (Journal of Systematic Palaeontology, 2024; doi: 10.1080/14772019.2024.2359946)
Quelle: University of Edinburgh