Unsere Umwelt wird zu einem Großteil von Mikroorganismen dominiert. Schätzungen zufolge machen sie mehr als ein Drittel der Biomasse des Planeten aus. Man findet sie in Wasser, an Land, auf und in unseren Körpern, und sie beeinflussen globale Nährstoffkreisläufe, das Klima, und unsere Gesundheit. Dennoch weiß man bisher nur wenig über die meisten dieser Bakterien. Doch das könnte sich schon bald ändern. Denn ein neues Verfahren zur Analyse von Genomsequenzen ermöglicht nun erstmals einen analytischen Blick in die Erbsubstanz der Mikroorganismen und erlaubt Rückschlüsse auf die Identität und Evolution der „verborgenen“ Bakterien.
Das Forscherteam, das die neue Methode entwickelt hat, berichtet in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science über seine Ergebnisse. Das Verfahren geht auf eine Zusammenarbeit von Professor Christian von Mering vom Institut für Molekularbiologie der Universität Zürich mit Forschern in den USA und Deutschland zurück.
Metagenomik erforscht Gene ganzer Gemeinschaften
„Wir basieren unsere Analyse auf Daten von Genomprojekten“, erklärt von Mering. Erst kürzlich haben Forscher damit begonnen, die Genome von Mikroben direkt aus der Umwelt zu sequenzieren, ohne sie vorher im Labor zu züchten. Denn Umweltbakterien lassen sich, im Gegensatz zu Krankheitserregern, im Labor oft nicht kultivieren. Sie sterben ab, sobald sie in einer Nährlösung isoliert werden. „Diese so genannte Metagenomik ist für uns sehr interessant, weil sie erstmals einen unverfälschten Einblick auf die Vielfalt der Organismen in einer bestimmten Umweltprobe ermöglicht“, so von Mering.
Von Mering und seine Kollegen analysierten Genomdaten aus eine Reihe von Umweltproben: Erdboden, Meerwasser, Minensickerwasser, und sogar von einem unterseeischen Wal-Skelett. In jeder dieser Proben fanden sie hunderte oder gar tausende verschiedener Bakterienarten – wild durcheinander gemischt, ohne dass eine eindeutige Zuordnung ersichtlich war. „Wir mussten erst lernen, mit diesen Daten umzugehen“, so von Mering.
„Bis anhin sind immer nur einzelne Organismen sequenziert worden, nie ein ganzes Ökosystem.“ Nach und nach entwickelte das Team Verfahren, um aus der Masse der Genomdaten diejenigen Gene zu filtern, die Rückschlüsse auf die Identität der Bakterien erlauben. Zusammen mit der Arbeitsgruppe von Peer Bork vom Europäischen Molekularbiologie Labor, Heidelberg, konnten die Umweltbakterien so in den „Baum des Lebens“ eingeordnet werden, d.h. in die Verwandtschaftsbeziehungen bereits bekannter Bakterien.
Mikroben wechseln Lebensraum selten
„Viele dieser Bakterien sind nur sehr entfernt verwandt mit bekannten Arten“, so Bork. „Das deutet darauf hin, dass noch sehr viel mehr Arten zu entdecken sind als wir bis jetzt bereits kennen.“ Besonders spannend waren die Unterschiede zwischen den einzelnen Proben. In jeder der Proben fanden sich Arten, die in den anderen Proben fehlten, und die anscheinend spezifisch an ihre Umwelt angepasst waren. „Bisher ist man davon ausgegangen, dass Mikroben Generalisten sind, d.h. an vielen Orten erfolgreich existieren können“, sagt von Mering. „Unsere Daten deuten aber darauf hin, dass die meisten Mikroben sich auf eine bestimme Nische festlegen und dort viele Millionen Jahre verbleiben. Das würde auch erklären, warum sie sich weigern im Labor zu wachsen.“
Zusammen mit Forschern vom Joint Genome Institute in Kalifornien ist das Team auch der Frage nachgegangen, ob die Evolution in allen Teilen unserer Umwelt gleich schnell voranschreitet. Die Geschwindigkeit der Evolution kann man an der Häufigkeit von Mutationen abschätzen, d.h. an Sequenzveränderungen in bereits bekannten Genen. Tatsächlich stellten sich bald Unterschiede heraus: Organismen im Meerwasser beispielsweise verändern sich deutlich schneller als Organismen im Erdboden. Dazu sagt von Mering: „Wir können also tatsächlich aus der Momentaufnahme der Genomsequenzen etwas über die Biologie und Ökologie der Mikroben lernen. Zumindest bis es uns gelingt, mehr Mikroben im Labor zu züchten, werden wir also noch oft die Hilfe der Sequenzierroboter brauchen.“
(Universität Zürich, 02.02.2007 – DLO)