Paläontologie

Eine Säbelzahnkatze mit Pferdeaugen

Wie Thylacosmilus räumlich sehen konnte, obwohl seine Augen weit auseinander standen

Thylacosmilus
Wie konnte die Beutel-Säbelzahnkatze Thylacosmilus atrox trotz ihrer „Pferdeaugen“ Beute schlagen? © Jorge Blanco

Rätselhafter Rehblick: Wissenschaftler haben herausgefunden, wie die Säbelzahnkatze Thylacosmilus atrox trotz weit auseinander liegender Augen dreidimensional sehen konnte. Demnach kompensierte sie die ungünstige Lage ihrer Augen, indem dafür ihre Augenhöhlen etwas nach außen ragten und fast vertikal ausgerichtet waren. Auf diese Weise konnte das urzeitliche Raubtier die Überlappung seiner Sehfelder maximieren und dadurch die Position seiner Beute präzise abschätzen, wie die Forschenden berichten.

Thylacosmilus atrox kam bis zu ihrem Aussterben vor etwa drei Millionen Jahren in Südamerika vor. Die Säbelzahnkatze war jedoch gleich aus mehreren Gründen besonders. Erstens: Anders als die berühmteren nordamerikanischen Vertreter war sie ein Beuteltier. Zweitens: Ihre dolchartigen Säbelzähne wuchsen ein Leben lang und waren irgendwann so groß, dass ihre Wurzeln sogar bis zur Oberseite des Schädels reichten. Drittens: Da die Zähne von Thylacosmilus einmal quer durchs Gesicht wuchsen, lagen seine Augen sehr weit auseinander – ähnlich wie bei einem Pferd.

Ein Räuber mit den Augen eines Pflanzenfressers?

Doch eine Säbelzahnkatze mit „Pferdeaugen“ sah nicht nur ungewöhnlich aus, sondern müsste eigentlich auch Probleme bei der Jagd gehabt haben. Denn die Augen von Fleischfressern sind normalerweise nach vorne gerichtet und relativ nahe beieinander. Dadurch überlappen sich die beiden Sehfelder und ermöglichen dem Raubtier das räumliche Sehen. Es kann so die Position seiner Beute präzise einschätzen. Pflanzenfresser wie Pferde, Kühe und Rehe hingegen haben seitlich liegende Augen. Das ermöglicht ihnen einen guten Rundumblick, mit dem sie ihr Umfeld nach Raubtieren abscannen können. Dafür können sie schlecht räumlich sehen.

Wie ist es also möglich, dass Thylacosmilus, ein „Hypercarnivore“, dessen Speiseplan wahrscheinlich zu über 70 Prozent aus Fleisch bestand, die Augen eines Pflanzenfressers hatte? Forschende um Charlène Gaillard vom Argentinischen Institut für Nivologie, Glaziologie und Umweltwissenschaften sind diesem Rätsel nun auf den Grund gegangen. Dafür setzte das Team computertomografische Scans und virtuelle 3D-Rekonstruktionen ein, um die Organisation der Augenhöhlen bei einer Reihe fossiler und moderner Säugetiere zu beurteilen.

So konnten die Wissenschaftler feststellen, wie das Sehsystem von Thylacosmilus im Vergleich zu dem anderer Fleischfresser oder anderer Säugetiere im Allgemeinen beschaffen war.

Sehwinkel
Thylacosmilus hatte zwar einen niedrigen Konvergenzwert (oben), dafür aber fast vertikale (1) und frontal ausgerichtete (2) Augenhöhlen. © Gaillard et al./ Communications Biology /CC-by 4.0

Zwei Tricks ermöglichten eingeschränkte 3D-Sicht

Das Ergebnis: Thylacosmilus ähnelte in der Ausrichtung seiner Augenhöhlen tatsächlich eher pflanzenfressenden Paarhufern wie Hirschen oder Gazellen. Das zeigt sich unter anderem an seinem orbitalen Konvergenzwert, also dem Winkel, in dem sich einst die Sehachsen seiner Augen schnitten. Die urzeitliche Säbelzahnkatze hatte eine orbitale Konvergenz von nur 34,8 Grad, wie die Fossilvermessungen ergaben. Zum Vergleich: Ein Rothirsch erreicht rund 30 Grad und eine Hauskatze 65 Grad.

Für das räumliche Sehen sind allerdings noch andere Faktoren entscheidend, zum Beispiel, wie vertikal und frontal die Augenhöhlen ausgerichtet sind. Genau darin liegt den Wissenschaftlern zufolge auch der Schlüssel, der Thylacosmilus trotzdem zu einem gefährlichen und erfolgreichen Raubtier machte. Denn: „Thylacosmilus war in der Lage, die seitliche Lage seiner Augen zu kompensieren, indem seine Augenhöhlen etwas nach außen ragten und fast vertikal ausgerichtet waren“, berichtet Gaillards Kollegin Analia Forasiepi.

Thylacosmilos‘ Augenhöhlen waren in einem 79 Grad-Winkel vertikal und zu 85 Grad frontal ausgerichtet. „So konnte er etwa 70 Prozent Gesichtsfeldüberlappung erreichen – offensichtlich genug, um ein erfolgreiches aktives Raubtier zu sein“, berichtet Forasiepi.

Schädel Thylacosmilus
Der Schädel von Thylacosmilus wies aufgrund der riesigen Eckzähne einige Anomalien auf. © Jorge Blanco

Eine Laune der Natur?

Doch warum das alles? Brachten die gewaltigen Eckzähne von Thylacosmilus wirklich so große Vorteile, dass es sich lohnte, für ihre Unterbringung den gesamten Schädel zu verformen? Den mächtigen Säbelzähnen mussten bei dieser Großkatze nämlich nicht nur die Augenhöhlen weichen. Das Raubtier hatte außerdem eine zusätzliche knöcherne Struktur entwickelt, die die Augenhöhlen seitlich verschloss. Ohne diese Struktur hätten sich die Augäpfel beim Fressen verformt, weil sie so nahe an den Kaumuskeln lagen. Lohnte sich das alles für die dolchartigen Zähne?

Offenbar ja: „Thylacosmilus war keine Laune der Natur, sondern schaffte es zu seiner Zeit und an seinem Ort anscheinend auf bewundernswerte Weise, als Raubtier zu überleben. Wir mögen ihn als Anomalie betrachten, weil er nicht in unsere vorgefassten Kategorien davon passt, wie ein richtiger Säugetier-Fleischfresser aussehen sollte, aber die Evolution macht ihre eigenen Regeln“, erklärt Forasiepi. (Communications Biology, 2023; doi: 10.1038/s42003-023-04624-5

Quelle: American Museum of Natural History

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