Soziale Langlebigkeit: In Gruppen lebende Tierarten haben durchschnittlich eine höhere Lebenserwartung als Einzelgänger – selbst dann, wenn sie ähnlich groß sind und einen ähnlich schnellen oder langsamen Stoffwechsel haben. Das zeigt eine Analyse von fast 1.000 Säugetierarten, von Spitzmäusen bis Walen. Genetische Untersuchungen legen nahe, dass dies mit bestimmten Signalwegen zusammenhängt, die sowohl mit sozialer Organisation als auch mit Langlebigkeit in Verbindung stehen.
Säugetiere weisen eine extreme Variabilität ihrer maximalen Lebensdauer auf: Während eine Spitzmaus nur etwa zwei Jahre alt wird, bringen es Grönlandwale auf eine Lebensspanne von mehr als 200 Jahren. Obwohl bereits bekannt ist, dass Faktoren wie die Körpergröße, die Stoffwechselrate und genetische Ausstattung die Lebenserwartung beeinflussen, können sie nicht alle Unterschiede in der Lebensdauer erklären. Das legt nahe, dass es noch weitere Einflussfaktoren geben muss.
Sozial = langlebig?
Einem möglichen Einflussfaktor sind nun Forschende um Pingfen Zhu vom Institut für Zoologie in Peking nachgegangen. Sie haben untersucht, welchen Einfluss das Sozialverhalten auf die Lebenserwartung hat. Frühere Untersuchungen hatten bereits innerhalb bestimmter Spezies, darunter Affen und Menschen, gezeigt, dass Individuen mit starken sozialen Bindungen typischerweise länger leben als Artgenossen mit schwachen sozialen Bindungen.
„Solche Analysen beschränkten sich aber auf soziale Spezies“, schreiben Zhu und ihr Team. „Unklar war deshalb, welche möglichen Zusammenhänge es zwischen Langlebigkeit und verschiedenen Varianten der sozialen Organisation gibt.“ Ob die Sozialstruktur auch bei weniger sozialen Arten und im Vergleich zwischen verschiedenen Arten einen Einfluss hat, blieb ebenfalls offen. „Darüber hinaus sind die molekularen Mechanismen, die dem evolutionären Zusammenhang zwischen sozialer Organisation und Langlebigkeit zugrunde liegen, nicht vollständig geklärt“, so die Forschenden.
Länger leben in der Gruppe
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, verglich das Forschungsteam 974 Säugetierarten, die es in drei Kategorien aufteilte: Einzelgänger, die den größten Teil ihres Lebens ohne Artgenossen verbringen, darunter Erdferkel und Streifenhörnchen, paarweise lebende Tiere wie Gibbons und Gruppentiere wie Elefanten und Nacktmulle. Für alle Arten setzten Zhu und ihr Team die maximale Lebensdauer in Beziehung zu weiteren Merkmalen, darunter Körpermasse, Sozialverhalten, Lebensweise, ökologische Faktoren und phylogenetische Beziehungen.
Das Ergebnis: „Unserer Analyse zufolge haben in Gruppen lebende Arten im Allgemeinen eine höhere Lebenserwartung als einzelgängerische Arten“, so das Forschungsteam. Das gilt auch unter Berücksichtigung wichtiger Einflussfaktoren wie der Körpergröße. Beispielweise haben die einzeln lebende Nordische Kurzschwanzspitzmaus und die in Gruppen lebende Große Hufeisennase ein ähnliches Gewicht, aber die erste wird im Schnitt nur zwei Jahre alt, die zweite hat dagegen eine Lebenserwartung von rund 30 Jahren.
Ergebnis einer verknüpften Evolution
Mit Hilfe von Abstammungsanalysen erhoben Zhu und ihr Team zudem die evolutionäre Übergangsrate von einem kurzlebigen zu einem langlebigen Zustand. „Wir stellten fest, dass diese Übergangsrate bei gruppenlebenden Arten höher ist als bei nicht-gruppenlebenden Arten, was auf eine korrelierte Evolution von sozialer Organisation und Langlebigkeit hindeutet“, berichten die Wissenschaftler. Anders ausgedrückt: Mit dem zunehmenden Leben in der sozialen Gruppe nahm auch die Langlebigkeit dieser Abstammungslinien zu.
Als mögliche evolutionäre Treiber für die Langlebigkeit kommen dem Autorenteam zufolge zahlreiche äußere und innere Faktoren in Frage. Beispielsweise bietet die Gruppe Schutz vor Beutegreifern und ermöglicht es, bessere Nahrungsressourcen zu erschließen. Zudem kann der soziale Kontakt das Stresslevel senken.
Zusammenhänge auch auf genetischer Ebene
Auch auf molekularer Ebene haben die Forschenden Assoziationen zwischen Langlebigkeit und Sozialität entdeckt. Für 94 der von ihnen untersuchten Arten analysierten sie anhand von Gewebeproben aus dem Gehirn, welche Gene dort abgelesen werden. „Als zentrales Organ vermittelt das Gehirn soziales Verhalten“, erklärt das Team. „Zudem lassen sich dort wichtige Gene und Signalwege identifizieren, die mit Langlebigkeit in Verbindung stehen.“
Tatsächlich identifizierten Zhu und ihre Kollegen 31 Gene, Hormone und mit dem Immunsystem zusammenhängende Signalwege, die sowohl mit der sozialen Organisation als auch mit Langlebigkeit in Verbindung stehen. „Diese Ergebnisse unterstreichen eine molekulare Grundlage für den Einfluss der sozialen Organisation auf die Langlebigkeit“, folgern die Forschenden. In zukünftigen Studien möchten sie weiter untersuchen, welche Mechanismen Gruppenleben und Langlebigkeit miteinander verbinden. (Nature Communications, 2023, doi: 10.1038/s41467-023-35869-7)
Quelle: Chinese Academy of Sciences