Neurobiologie

Ekliger sind immer die anderen

Selbst ein grundlegendes Gefühl wie Ekel wird von sozialen Einstellungen beeinflusst

Wie eklig etwas riecht, hängt auch davon ab, von wem es stammt. © SIphotography/ iStock.com

Von wegen objektive Wahrnehmung: Selbst etwas so Fundamentales wie Ekel wird durch unsere sozialen Einstellungen manipuliert, wie ein Experiment nun belegt. Ein nach Schweiß stinkendes T-Shirt empfinden wir demnach als besonders eklig, wenn es von einem vermeintlich Fremden stammt. Stammt es dagegen vermeintlich von einem Angehörigen unserer eigenen sozialen Gruppe, erscheint uns der Geruch weniger schlimm – selbst wenn es objektiv exakt genauso riecht.

Ob nun ein schleimiger Wurm, ein fieses Kratzgeräusch oder der miefig-schweißige Geruch eines ungewaschenen Menschen: Unwillkürlich reagieren wir auf solche Eindrücke mit Ekel. In vielen Situationen ist dieses tief in unserer Biologie verankerte Gefühl durchaus nützlich, verhindert es doch, dass wir potenziell infektiöse oder giftige Dinge anfassen oder sogar essen. Andererseits scheinen aber auch soziale Faktoren und sogar die politische Einstellung unser Ekelgefühl zu beeinflussen.

Stephen Reicher von der University of St. Andrews in Schottland und seine Kollegen haben nun eine weitere Schnittstelle von Ekel und Sozialverhalten näher untersucht. Sie wollten wissen, wie stark unser Ekelgefühl davon beeinflusst wird, ob jemand oder ein Objekt „dazugehört“ oder von einem Fremden stammt. „Ekel spielt eine durchaus signifikante Rolle darin, Gruppen voneinander zu trennen, vor allem von solchen Fremden, die wie wir glauben und anstecken könnten“, erklären die Forscher.

Die manipulative Macht des Uni-Logos

Zuvor waren sie im Gespräch darauf eingestimmt worden, sich selbst in erster Linie als Studentin zu sehen oder aber als Vertreterin ihrer Universität. Nach dem Riechen sollten sie einen Fragebogen ausfüllen, in dem sie neben dem Grad ihres Ekels auch angeben sollten, wie verbunden sie sich mit dem – ihnen unbekannten – Träger des T-Shirts fühlten.

Das Ergebnis: Die Probandinnen bewerteten den Geruch des T-Shirts als unterschiedlich ekelerregend – obwohl alle T-Shirts exakt gleich stark und gleich unangenehm rochen. Dennoch meinten sie, einen Unterschied wahrzunehmen, je nachdem, von wem es vermeintlich stammte. „Wenn die Quelle des Geruchs vermeintlich der eigenen Gruppe angehörte, war das Ekelgefühl abgeschwächt“, berichten die Forscher. „Das unterstreicht die Bedeutung sozialer Grenzen für die Erfahrung des Ekels.“

Soziale Grenzen bestimmen den Ekel

Wo diese Grenzen jeweils liegen, ist dabei durchaus flexibel, wie sich zeigte: Wurde den Teilnehmerinnen zuvor ihre Rolle als Studentin bewusst gemacht, empfanden sie auch das T-Shirt mit dem Logo der fremden Universität als weniger eklig. Stand dagegen beim Vorgespräch die Zugehörigkeit zu ihrer speziellen Uni im Vordergrund, empfanden sie nur das T-Shirt mit dem „eigenen“ Logo als weniger unangenehm.

„Das demonstriert, dass unsere Wahrnehmung des Fremdseins davon abhängt, durch welche sozialen Prozesse wir dieses Anderssein definieren“, erklären Reicher und seine Kollegen. „Das gleiche Objekt kann je nach Definition der eigenen Gruppenzugehörigkeit mal als ekliger, weil fremd und mal als weniger eklig empfunden werden.“

Fühlten sich die Probanden primär als Student, beeilten sie sich auch beim T-Shirt mit dem fremden Unilogo weniger mit der Händedesinfektion. © Reicher et al./ PNAS

Der Einfluss reicht tief

Dass diese soziale Manipulation des Ekels nicht nur unsere bewusste Einschätzung des Ekelgefühls beeinflusst, sondern tiefer geht, beweist ein zweites Experiment. Die grundlegenden Abläufe glichen denen im ersten Durchgang. Diesmal aber stand auf einem Nebentisch ein Desinfektionsmittel bereit und die Forscher ermittelten, wie schnell die männlichen und weiblichen Probanden diese Möglichkeit nutzen und wie häufig sie auf den Spender drückten.

„Wir erwarteten, dass ein größerer Ekel sich in einem schnelleren Gang zum Desinfektions-Tisch und einem längeren Händewaschen äußern würde“, erklären die Forscher. Denn gehen die gruppenabhängigen Unterschiede im Ekel über eine bloß oberflächliche, bewusste Ablehnung hinaus, sollte sich dies auch im Verhalten niederschlagen.

Und tatsächlich: „Die Versuchspersonen gingen schneller zur Desinfektion und nutzten mehr Seife, nachdem sie in T-Shirt eines vermeintlich Fremden, nicht zur Gruppe Gehörenden gerochen hatten“, berichten die Wissenschaftler. „Das belegt, dass die Gruppenidentität nicht nur die soziale Wahrnehmung beeinflusst, sondern sogar so fundamentale Sinneseindrücke wie den Geruch.“ (Proceedigs of the National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1517027113)

(PNAS, 23.02.2016 – NPO)

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Schönheit - Symmetrie, Kindchenschema und Proportionen

Duft - Von der Nase ins Gehirn

Bücher zum Thema

Im Fokus: Neurowissen - Träumen, Denken, Fühlen - Rätsel Gehirn von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann

150 psychologische Aha-Experimente - Beobachtungen zu unserem eigenen Erleben und Verhalten Von Serge Ciccotti

9 Millionen Fahrräder am Rande des Universums - Obskures aus Forschung und Wissenschaft von Michael Gross

Top-Clicks der Woche