Nerven in Hülle und Fülle: Das Gesicht von Elefanten wird von mehr Nervenzellen kontrolliert als bei jedem anderen Landsäugetier, wie Analysen enthüllen. Demnach haben Asiatische Elefanten im Gesichtskern ihres Gehirns rund 54.000 Neuronen, Afrikanische sogar rund 63.000. Gebraucht werden diese Nervenzellen vor allem für die komplexen und vielseitigen Bewegungen des Rüssels, aber auch der Ohren, wie die Forschenden in „Science Advances“ berichten.
Das auffallendste Merkmal der Elefanten ist ihr beweglicher und vielseitig einsetzbarer Rüssel – er übernimmt viele Aufgaben, die bei uns Hände und Arme leisten. Der Elefantenrüssel enthält daher mehr Muskeln als der gesamte menschliche Körper. Das ermöglicht Elefanten eine große Bandbreite an kräftigen bis filigranen Bewegungen. Doch diese Masse an Muskeln muss gesteuert werden. Das übernimmt der sogenannte Gesichtskern, eine Hirnstruktur, die die Gesichtsmuskulatur der Elefanten kontrolliert – von den Ohren bis zur Rüsselspitze.
Jahrzehntelange Forschung
Ein Forschungsteam um Lena Kaufmann von der Humboldt-Universität zu Berlin hat nun genauer untersucht, welche und wie viele Nervenzellen im Gehirn der Tiere ihr Gesicht und die Bewegungen von Rüssel und Ohren steuern. Dafür brauchten sie eines ganz besonders: Geduld. Denn das für das Gesicht zuständige Areal im Gehirn der stark gefährdeten Tiere lässt sich nur untersuchen, indem man es seziert. Dadurch war das Team auf Zooelefanten angewiesen, die entweder eines natürlichen Todes starben oder wegen gesundheitlicher Probleme eingeschläfert werden mussten.
Im Laufe von drei Jahrzehnten kamen so insgesamt acht Untersuchungsobjekte zusammen, vier Afrikanische Elefanten (Loxodonta africana) und vier Asiatische Elefanten (Elephas maximus). Nach deren Tod isolierten die Wissenschaftler den Gesichtskern aus ihren Gehirnen und nahmen verschiedene Untersuchungen daran vor. Sie zählten unter anderem die Neuronen in diesem Bereich und vermaßen ihre Größe und Dicke.
Graue Riesen als Neuronen-Rekordhalter
Das Ergebnis: Der Elefanten-Gesichtskern ist eine hochkomplexe Hirnregion mit einer außergewöhnlich großen Zahl an Nervenzellen. Das Areal umfasst weit mehr als 50.000 Neuronen – so viele wie sonst bei keinem Landsäugetier. In der Region, die den Rüssel steuert, war die Nervenzelldichte besonders hoch, wie Kaufmann und ihre Kollegen ermittelten.
Eine weitere Erkenntnis: Die Gesichtskerne von Asiatischen und Afrikanischen Elefanten unterscheiden sich deutlich voneinander. „Diese Unterschiede betreffen sowohl die Gesamtzahl der Zellen als auch die relative Aufteilung des Gesichtskerns“, schreiben die Autoren. So enthielt der Gesichtskern der Asiatischen Elefanten circa 54.000 Nervenzellen, der von Afrikanischen Elefanten dagegen stolze 63.000.
Auf struktureller Ebene bemerkten die Wissenschaftler außerdem, dass ein Teilbereich des Gesichtskerns, der mediale Gesichtsunterkern, bei Afrikanischen Elefanten deutlich größer ist als bei ihren asiatischen Verwandten. Der Teilbereich ist wahrscheinlich für die Bewegungen der Ohren zuständig.
Mehr „Rüsselspitzengefühl“ bei Afrikanischen Elefanten
Die Unterschiede zwischen den Elefanten-Arten führt das Forschungsteam auf Unterschiede in ihrer Anatomie zurück. So haben Afrikanische Elefanten zum Beispiel eine filigranere Rüsselspitze als die asiatischen grauen Riesen. „Afrikanische Elefanten ergreifen Objekte mit den zwei sogenannten Rüsselfingern an der Spitze des Rüssels“, erklärt Kaufmanns Kollege Thomas Hildebrandt, „diese Art des Zangengriffs erfordert viel Fingerspitzengefühl. Passend dazu gibt es im Hirn Afrikanischer Elefanten markante Nervenzellhaufen für die Fingerspitzenkontrolle.“
Bei Asiatischen Elefanten fehlt dieser „Zangengriff“. Sie umwickeln Objekte stattdessen mit dem Rüssel, um sie aufzuheben. Dafür benötigen sie laut den Wissenschaftlern weniger Neuronen als ihre Verwandten.
Ein weiterer Grund für die abweichende Neuronenzahl zwischen den Arten liegt außerdem in ihrer jeweiligen Ohrengröße. Die Ohren Afrikanischer Elefanten sind größer und werden beim Angriff seitlich aufgerichtet. Dieser Mechanismus lasse sich nur über eine große Anzahl an Nervenzellen steuern, so Kaufmann und ihre Kollegen. Das könnte auch erklären, warum der mediale Gesichtsunterkern, der die Ohrenbewegung kontrolliert, bei Afrikanischen Elefanten größer ist als bei Asiatischen. (Science Advances, 2022, doi: 10.1126/sciadv.abq2789)
Quelle: Amerikanische Gesellschaft für die Förderung der Wissenschaft (AAAS); Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.