Mehr oder weniger? Asiatische Elefanten haben einen erstaunlich guten Sinn für Zahlen. Wie nun ein Experiment belegt, können sie den Unterschied zwischen zwei abgebildeten Mengen von Früchten problemlos nachvollziehen – selbst wenn diese nur wenig unterschiedlich sind. Dabei schneiden die cleveren Dickhäuter so gut ab wie sonst nur der Mensch. Sie sind den Forschern zufolge damit die unangefochtenen Zählkönige im Tierreich.
Nicht nur wir Menschen, auch viele Tiere haben ein Gespür für Mengen: Was ist „mehr“, was ist „weniger“? Das können beispielsweise Affen, Krähen, Hunde und sogar Tintenfische einschätzen. Auch Asiatische Elefanten beherrschen diese Rechenkunst, wie Experimente nahelegen. Doch wie gut sind die Dickhäuter wirklich darin?
Obst zum Zählen
Um das herauszufinden, haben Naoko Irie von der Universität Sōkendai in Hayama und ihre Kollegen nun die 14-jährige Elefantendame Authai auf die Probe gestellt. Dafür trainierten die Wissenschaftler das in einem japanischen Zoo heimische Tier darauf, Aufgaben an einem Bildschirm mit Touch-Funktion zu lösen. Authai bekam jeweils zwei Bilder mit null bis zehn Leckereien gezeigt – darunter Bananen, Wassermelonen und Äpfel.
Die Elefantenkuh sollte dann jene Abbildung mit dem Rüssel berühren, auf der mehr der fruchtigen Gegenstände zu sehen waren. Als besondere Schwierigkeit waren die Früchte in unterschiedlichen Größen dargestellt. So konnte Authai die Mengen nicht einfach anhand der Größe der mit Illustrationen ausgefüllten Fläche vergleichen. Jedes Mal, wenn sie die größere Futtermenge korrekt identifizierte, bekam Authai eine Belohnung.
Mehr oder weniger
Beim entscheidenden Test zeigte sich: Der Elefant wählte in 181 von 271 Versuchen zielsicher die richtige Abbildung aus – eine Erfolgsquote von 66,8 Prozent. Das Erstaunliche daran: Während andere Tiere zunehmend Probleme bekommen, wenn die Mengen größer werden oder die zu vergleichenden Zahlen näher beieinanderliegen, beeinflussten diese Faktoren Authais Trefferquote nicht.
Allerdings benötige sie für solche vermeintlich schwierigeren Aufgaben mehr Zeit: Je kleiner der Unterschied zwischen den Mengen wurde, desto länger dauerte die Entscheidungsfindung. Keinen Einfluss auf die benötigte Zeit hatte dagegen überraschenderweise die Größe der Menge – dabei brauchen selbst Menschen normalerweise länger, wenn die einzuschätzenden Mengen größer werden.
So gut wie der Mensch
„Damit sind Asiatische Elefanten bisher die einzigen Tiere neben dem Menschen, bei denen die Genauigkeit bei der Beurteilung relativer Mengenverhältnisse von dem Unterschied der Mengen oder deren Größe unabhängig ist“, schreiben die Forscher. Das bedeutet: Die Elefanten besitzen eine numerische Fähigkeit, über die sonst nur der Mensch verfügt – und unterscheiden sich damit auch von ihren afrikanischen Verwandten.
Wie die Dickhäuter beim Zählen genau vorgehen, wissen die Wissenschaftler noch nicht. Möglich ist, dass ihr Zahlensinn teils den beiden Mechanismen entspricht, mit dem wir Menschen Zahlen erkennen: Mengen bis vier erfassen wir auf einen Blick, ohne die Objekte einzeln zählen zu müssen. Bei größeren Mengen dagegen müssen wir entweder zählen oder schätzen die Unterschiede nur grob ab.
Ein eigenes System?
Weil Authai für größere Mengen im Gegensatz zu uns nicht mehr Zeit benötigte, könnte aber auch ein anderer Mechanismus dahinterstecken. Möglicherweise, so spekuliert das Team, haben die Elefanten im Laufe ihrer Evolution ein ganz eigenes System entwickelt, um Mengen möglichst genau abzuschätzen. Weitere Studien sollen nun zeigen, wie der Zahlensinn der Dickhäuter konkret funktionieren könnte. (Journal of Ethology, 2018; doi: 10.1007/s10164-018-0563-y)
(Springer Nature, 23.10.2018 – DAL)