Neurobiologie

Emotionen machen auf einem Auge blind

Bilder und Situationen mit emotionalem Kontext sind in der Wahrnehmung dominant

Trauer, Zorn, Freude, Angst – wenn sich solche oder andere Gefühle auf einem Gesicht spiegeln, dann nimmt ein anderer Mensch diese Information bevorzugt wahr. Neutrale visuelle Reize blendet er in diesem Moment weitgehend aus. Das berichten Psychologen der Universität Würzburg in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins Emotion.

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Sei es beim Stadtbummel, in einem Konzert oder in den eigenen vier Wänden: Auf den Menschen strömen ununterbrochen zahlreiche Eindrücke aus seiner Umgebung ein. Ständig sind seine Sinnesorgane und sein Gehirn damit beschäftigt, diese Informationen zu analysieren, zu bewerten und sie mit dem richtigen Verhalten zu beantworten. Das sichert ihm letzten Endes das Überleben. So kann es beispielsweise von Vorteil sein, aggressive Personen in einer Menschenmenge schnell zu erkennen und sich in dieser Situation nicht von belanglosen Geschehnissen ablenken zu lassen.

Experiment testet selektive Wahrnehmung

„Die bevorzugte Wahrnehmung emotionaler Informationen ermöglicht es uns, schnell und effektiv auf bedeutsame Ereignisse zu reagieren“, erklärt der Psychologe Georg W. Alpers. Allerdings gibt es bislang nur wenige experimentelle Daten, die beweisen, dass emotional relevante Bilder tatsächlich auch andauernd intensiver wahrgenommen werden als neutrale Eindrücke.

Hierfür haben die Würzburger Psychologen jetzt neue Belege erarbeitet. Sie zeigten 30 Versuchspersonen Fotos mit ärgerlichen, ängstlichen, freudigen, überraschten und neutralen Gesichtsausdrücken von jeweils acht unterschiedlichen Frauen. Diese Bilder bekamen die Probanden in einer speziellen Art und Weise präsentiert. Immer war ein emotionales mit einem neutralen Gesicht kombiniert. Die Versuchsteilnehmer blickten durch ein Stereoskop, so dass ihr rechtes Auge nur das eine Gesicht sah, das linke dagegen nur das andere. Mit dieser Versuchsanordnung lässt sich die Verarbeitung visueller Reize untersuchen.

Unterschiedliche Bilder – unterschiedliche Verarbeitung

Normalerweise empfangen die Augen unabhängig voneinander Informationen aus der Umwelt, die dann zu einem sinnvollen räumlichen Wahrnehmungseindruck vereinigt werden. Passen aber, wie in dem beschriebenen Experiment, die jedem Auge präsentierten Dinge nicht zueinander, kann das Gehirn die Eindrücke nicht eindeutig verarbeiten.

In einem solchen Fall tauchen darum die Bilder in der bewussten Wahrnehmung im steten Wechsel auf: Für kurze Zeit ist jeweils ein Bild dominant, während das andere unterdrückt ist – der Mensch wird gewissermaßen vorübergehend auf einem Auge blind. Zwar sind beide Bilder durchgehend vorhanden, im Bewusstsein taucht aber immer nur eines auf. Auch ein Mischprodukt aus Teilen beider Bilder kann das Resultat einer solchen Präsentation sein. Willentlich kann der Mensch diese Vorgänge nicht beeinflussen. Im Experiment mussten die Probanden dann durch das Drücken verschiedener Tasten anzeigen, ob sie ein emotionales, ein neutrales oder ein Mischbild wahrnahmen.

Emotionale Bilder dominant

Es zeigte sich, dass die bewusste Wahrnehmung der Testpersonen nicht etwa gleichmäßig zwischen den beiden Gesichtern hin und her wechselte. Stattdessen nahmen sie die emotionalen Gesichter häufiger zuerst und dann auch deutlich länger wahr. Ob die gezeigten Gefühle positiv oder negativ waren, spielte dabei keine Rolle. Als die Psychologen den Versuch mit gezeichneten Gesichtern wiederholten, bestätigte sich der Befund. Also haben Eigenschaften der Fotos, zum Beispiel Schatten im Gesicht oder Ähnliches, auf das Ergebnis keinen Einfluss.

Schließlich zeigten die Forscher wieder Fotos von Frauengesichtern, blendeten aber während der Darbietung gelegentlich einen kleinen Punkt in das emotionale oder in das neutrale Bild ein. Diesen Punkt sollten die Probanden möglichst schnell entdecken. Und erneut zeigte sich die Dominanz der emotionalen Bilder: Die Testpersonen fanden die Punkte in den gefühlsgeladenen Fotos häufiger und schneller als in den neutralen – was zeigt, dass die Ergebnisse des ersten Experiments nicht nur durch eine Erwartungshaltung der Probanden zu Stande kamen.

„Die Welt, wie wir sie sehen, ist nicht objektiv. Was wir sehen, wird dadurch beeinflusst, welche Bedeutung die verschiedenen Dinge für jeden Einzelnen von uns haben. Und Emotionen haben offensichtlich für uns Alle eine große Bedeutung“, so das Fazit von Alpers Mitarbeiterin Antje B.M. Gerdes. Derzeit arbeitet die Forschungsgruppe mit Patienten, die an einer Spinnenphobie leiden. Die Psychologen wollen herausfinden, ob diese Menschen Spinnen tatsächlich stärker wahrnehmen. Sie hoffen auf neue Erkenntnisse über Phobien und auf verbesserte Therapiemöglichkeiten.

(Universität Würzburg, 05.09.2007 – NPO)

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