Wissenschaftlern ist es gelungen, mit dem körpereigenen Hormon Erythropoietin (EPO) eine neue nebenwirkungsfreie Strategie zur Behandlung von Wunden zu entwickeln. In einer aktuellen Studie konnten die Forscher zeigen, dass schwere chronische Wunden bei Patienten mit Diabetes nach Einnahme des Medikaments EPO wesentlich schneller abheilten als bei einer konventionellen Therapie.
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In Deutschland leiden schätzungsweise zehn Millionen Menschen an Diabetes. Die Dunkelziffer ist hoch. Aufgrund der schweren chronischen Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Netzhautablösung, Diabetisches Fußsyndrom oder Neuropathie gewinnt die Volkskrankheit auch zunehmend an wirtschaftlicher Bedeutung.
Bei letzteren handelt es sich um Nervenschädigungen im Bereich der Extremitäten, die zu einem verminderten Schmerzempfinden und Taubheitsgefühl führen. Die durch Diabetes bedingte Durchblutungsstörungen entstandenen Wunden und Geschwüre werden von den Patienten zu spät bemerkt und können einen chronischen Verlauf nehmen. Im schlimmsten Fall droht die Amputation der betroffenen Gliedmaßen.
Drei Millionen Menschen mit chronischen Wunden
Besonders bei schweren Verläufen des Diabetischen Fußsyndroms ohne chirurgische oder andere Behandlungsmöglichkeiten führte EPO in der neuen Studie der Medizinische Hochschule Hannover (MHH) zu einem Therapieerfolg.
Professor Dr. Hans-Oliver Rennekampff sagt dazu: „Es gibt in Deutschland jedes Jahr etwa zwei bis drei Millionen Patienten, die unter schweren chronisch offenen Wunden leiden. Die Hauptursachen sind Diabetes mellitus und eine Reihe von Gefäßleiden. Es gibt zwar verschiedene konservative Behandlungsmöglichkeiten wie spezielle Wundauflagen oder chirurgische Maßnahmen wie die Hauttransplantation, aber eine erschreckend große Anzahl an Patienten spricht auf diese Behandlungen nicht an oder ist für die operative Therapie nicht geeignet. Darum ist die Notwendigkeit von alternativen molekularbiologischen Therapiestrategien so wichtig.“
EPO mit positivem Einfluss auf die Wundheilung
Die neuen Ergebnisse weisen darauf hin, dass EPO schon in niedrigsten Dosierungen – durch die Bildung und Ausschwemmung von Stammzellen aus dem Knochenmark zur Regeneration von Verletzungen und Organschäden – einen positiven Einfluss auf die Wundheilung hat. EPO wird von der Niere gebildet und reguliert als Wachstumsfaktor die Entstehung der roten Blutkörperchen aus dem Knochenmark. Darum wird es häufig bei Blutarmut als Folge von Dialyse oder Chemotherapie eingesetzt.
Neben der Wirkung auf die Blutbildung haben Forscher eine Reihe positiver Effekte bei dem Glykoprotein beobachtet. So stimuliert EPO die Bildung von körpereigenen Stammzellen und hat eine zellschützende Wirkung auf gestresste Körperzellen. Die Fähigkeit zur allgemeinen Leistungssteigerung wurde in verschiedenen Sportarten ausgenutzt und hat EPO den zweifelhaften Ruf eines Dopingmittels beschert.
Niedrige Hormonkonzentrationen genügen
Dem therapeutischen Problem, dass es bei hohen Dosierungen des Medikaments zur Eindickung des Blutes und infolgedessen zu Blutgerinnseln kommen kann, haben die MHH-Forscher eine intelligente Strategie entgegengesetzt. „Wir haben die molekularen Mechanismen von EPO untersucht und entdeckt, dass das Hormon auch in sehr niedrigen Konzentrationen einen positiven Einfluss auf Stammzell-Vorläuferzellen, sogenannte Progenitorzellen hat. Die vermehrte Bildung von roten Blutkörperchen führt zu einer erhöhten Durchblutung des Körpergewebes und dadurch zu einer verbesserten Versorgung der Wunde. Die gefürchtete einschränkende Wirkung von EPO haben wir mit dem neuen Therapieprinzip nicht beobachten können“, erklärt Professor Dr. Hermann Haller von der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen.
Keine Nebenwirkungen
Auch auf dem Gebiet der chronischen Nierenerkrankungen wirke sich Erythropoietin in der neuen Dosierung positiv aus. Die Entwicklung einer diabetischen Nephropathie – dabei kommt es zunehmend zu einer Schädigung der kleinsten Nierengefäße und damit zu einer dramatisch eingeschränkten Filterleistung der Niere – könne durch die neue Therapie weitgehend verhindert werden. Bisher trat nach Angaben der Forscher bei keinem der behandelten Patienten eine durch das niedrig dosierte EPO ausgelöste Nebenwirkung auf.
(idw – Medizinische Hochschule Hannover, 25.03.2010 – DLO)