Wissenschaftler haben den Zeitpunkt der Entstehung von zahlreichen Genen, die auch Krankheiten auslösen können, systematisch analysiert. Ihre Untersuchungen belegen erstmals, dass diese Gene in ihrer überwältigenden Mehrheit bereits seit dem Ursprung der ersten Zellen existieren. Damit ist die Suche nach weiteren Genen, insbesondere solchen, die an Krankheiten mit mehreren genetischen Ursachen beteiligt sind, deutlich erleichtert, so die Forscher in der Fachzeitschrift „Molecular Biology and Evolution”.
Zudem bestätigen die Ergebnisse von Tomislav Domazet-Loso und Diethard Tautz vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön, dass grundlegende Zusammenhänge über die Funktion von Genen, die Krankheiten auslösen, auch an Modellorganismen gefunden werden können.
Kleine Änderung, schwerwiegende Folgen
Eine kleine Änderung in der Buchstabenfolge genügt – ein A für ein C – und ein bislang einwandfrei funktionierendes Gen wird zum Krankheitsauslöser. Mit der Entschlüsselung des Humangenoms sind inzwischen Tausende von Genen identifiziert worden die, wenn sie solche Mutationen tragen, beim Menschen zu genetisch bedingten Krankheiten führen können.
Die Datenbank „Online Mendelian Inheritance in Man“ weist mehr als 4.000 Chromosomenregionen aus, die mit genetischen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden. Und für gut die Hälfte dieser Regionen sind die Gene, deren Mutationen für den Ausbruch einer Krankheit beim Menschen verantwortlich sind, identifiziert. Viele dieser Gene finden sich auch in anderen Organismen wie etwa der Fliege Drosophila oder dem Fadenwurm Caenorhabditis.
Domazet-Loso und Tautz haben diese Gene nun einer genaueren Analyse unterzogen. Ihr Ziel: die Bestimmung des Zeitpunkts ihrer evolutionären Entstehung. Dabei nutzten die Plöner Wissenschaftler eine statistische Methode, die Domazet-Loso am Ruder Boskovic Institute in Zagreb (Kroatien) schon 2007 entwickelt hat, die so genannte „Phylostratigraphie“.
Ursprung jedes Gens ermitteln
Dieses Verfahren erlaubt es, den Ursprung jedes heute existierenden Gens zu ermitteln. Verwendet werden hierzu die Daten aus komplett entschlüsselten Genomen von Vergleichsorganismen, die den gesamten Stammbaum der Eukaryoten – Lebewesen mit Zellkern und Zellmembran – repräsentieren. Mit Hilfe einer Sequenz-Ähnlichkeitssuche (BLAST) bestimmt man dann den letzten gemeinsamen Vorfahren, in dessen Genom das untersuchte Gen noch entdeckt werden kann. So wird das erste Auftreten des Gens, also sein minimales Alter, genau ermittelt.
„Bei dieser systematischen Altersbestimmung jener Gene, die für bestimmte Krankheiten verantwortlich sind, konnten wir tatsächlich erstmals zeigen, dass sie in einer beeindruckenden Mehrheit bereits seit dem Ursprung der ersten Zellen existieren“, erklärt Tautz. Große Gruppen dieser Gene entstanden während der Evolution der Vielzeller vor mehr als einer Milliarde Jahren sowie zur Zeit der Evolution der Knochenfische vor zirka 400 Millionen Jahren. „Überraschenderweise sind seit der Evolution der Säugetiere kaum neue potenzielle Krankheitsgene hinzugekommen“, sagt der Evolutionsbiologe.
Genetisch bedingte Krankheiten betreffen offenbar vor allem evolutionär alte zelluläre Prozesse, die bereits in der Frühphase organischen Lebens entstanden sind. Und das führt zu dem Schluss, dass alle heute lebenden Organismen von ähnlichen genetischen Krankheiten betroffen sein können.
Forschung an Modellorganismen sinnvoll
„Wir können genetisch bedingte Krankheiten somit letztlich nie vollständig besiegen, da sie Prozesse betreffen, die in der Evolution unveränderbar festgelegt wurden“, so der Max-Planck-Forscher. Rätselhaft bleibt, warum gerade die entwicklungsgeschichtlich jungen Gene, wie zum Beispiel jene, die für die Entwicklung der Säugetiere nötig waren, nur selten Krankheiten auslösen, wenn sie Mutationen tragen.
Die Ergebnisse der Plöner Forscher haben praktische Konsequenzen, rechtfertigen sie doch den Einsatz von Modellorganismen in der biomedizinischen Forschung: Da, wie gezeigt, evolutionär alte Prozesse betroffen sind, darf man erwarten, dass selbst bei Fadenwürmern (C. elegans) oder Fliegen (Drosophila), die nicht nah mit dem Menschen verwandt sind, grundlegende Zusammenhänge erforscht werden können, die für entsprechende Therapieansätze beim Menschen genutzt werden können.
(idw – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, 16.10.2008 – DLO)