Detaillierter Einblick ins Gebiss: Erstmals haben Forscher einen kompletten Atlas aller menschlichen Zahnzellen erstellt. Er enthüllt unter anderem, dass sich die Zellen des inneren Zahnmarks und des Zahnhalteapparats vom Zelltyp her stark unterscheiden, ihre Stammzellen jedoch überraschend ähnlich sind. Zukünftig könnte der Einzelzell-Atlas neue Wege für zellbasierte zahnmedizinische Therapieansätze liefern.
Zähne – wir brauchen sie zum Kauen, sie unterstützen uns beim Sprechen und ein strahlend weißes Gebiss gilt als ästhetisch. Forscher konnten auch schon viel über unsere Kauwerkzeuge herausfinden. So unter anderem, wie der Kälteschmerz zustande kommt oder welche Nahrung und Zahnbürste unseren Zähnen guttut. Und in ersten Laborversuchen ist es sogar schon gelungen, kleine Zahnkeime zu züchten, die im Kiefer zu einem neuen Zahn heranwachsen können.
Wie sind unsere Zähne zusammengesetzt?
Doch bisher fehlte ein Gesamtbild der zellulären und molekularen Zusammensetzung der menschlichen Zähne. Ein Forscherteam um Pierfrancesco Pagella von der Universität Zürich hat das nun geändert. Die Wissenschaftler erstellten den ersten Einzelzell-Atlas der menschlichen Zähne, der Entwicklung und Verhalten der Zahnzellen detailliert beleuchtet.
Die Forscher nutzten Techniken der modernen Zahnmedizin und der DNA-Sequenzierung, um ihre Zellproben genetisch und molekular zu analysieren. Diese stammten aus der Zahnpulpa und dem Zahnhalteapparat. Die Pulpa ist das weiche Zahnmark unter der harten Mineralschicht von Zahnschmelz und Dentin. Der Zahnhalteapparat, das Parodontium, besteht aus dem Zahnhals sowie der Zahnwurzel mit Wurzelhaut und Wurzelzement.
Überraschende Ähnlichkeiten
Aus der Untersuchung von insgesamt mehr als 300 Pulpa- und 2.000 Parodontiumzellen erstellten die Forscher einen ersten Atlas der Zahnzellen. „Unsere Studie zeigt die genaue Zusammensetzung dieser beiden Gewebe“, so Pagella. „Beide sind anfällig für Karies und Parodontitis und enthalten gleichzeitig Stammzellen, die ein großes regeneratives Potenzial besitzen.“
Die Analysen enthüllten auch Überraschendes: „Unerwarteterweise wiesen die Stammzell-Populationen der Pulpa und des Parodontiums sehr ähnliche molekulare Signaturen auf“, erklärt das Forscherteam. Erstaunlich ist dies deswegen, weil beide Gewebe ansonsten aus ganz unterschiedlichen Zelltypen bestehen: Die Pulpa enthält hauptsächlich Fibroblasten, einen Zelltyp, der auch im Bindegewebe vorkommt. Der Zahnhalteapparat besteht hingegen vorwiegend aus Epithelzellen.
Durch zelluläre Signale geprägt
Weil die Stammzellen die Vorläufer dieser unterschiedlichen Zelltypen sind, wäre zu erwarten, dass auch sie sich schon in ihrer molekularen Zusammensetzung und Genaktivität unterscheiden. Doch das ist nicht der Fall: „Die mesenchymalen Stammzellen des Zahns zeigen im Gegensatz zu aktuellen Vorstellungen insgesamt eine erstaunliche Homogenität“, berichten Pagella und sein Team. Was aber bestimmt dann, ob sie sich zu Dentin- oder Parodontiumzellen weiterentwickeln?
Die detaillierten Analysen der Zahnzellen lieferten auch dafür eine mögliche Erklärung: „Wir vermuten, dass das unterschiedliche Verhalten einzelner Zelltypen durch ihre jeweilige Umgebung hervorgerufen wird“, sagt Pagella. Denn wie er und seine Kollegen feststellten, produzieren die schon ausdifferenzierten Fibroblasten und Epithelzellen voneinander sehr verschiedene Botenstoffmischungen. „Diese Zellen setzen damit Signale frei, die das Verhalten der Stammzellen beeinflussen könnten“, berichten die Wissenschaftler.
Die spezifische Zusammensetzung des zellulären Mikromilieus scheint demnach für die großen funktionalen Unterschiede der Stammzellen in den verschiedenen Zahnkompartimenten verantwortlich zu sein.
Für Zahnmedizin nützlich
Die neuen Erkenntnisse, die nun im Zahn-Atlas beschrieben sind, stellen laut Pagella und seinen Kollegen einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der komplexen zellulären und molekularen Zusammensetzung des menschlichen Zahngewebes dar. So könnte der Zahn-Atlas beispielsweise helfen, die Interaktionen von Zahnpulpa- und Parodontalzellen besser zu verstehen, die an der Immunantwort auf bakterielle Angriffe beteiligt sind.
Und auch Heilungsmethoden für beschädigte Zellen könnten die neuen Erkenntnisse vorantreiben: „Die Einzelzell-Analyse könnte nicht nur für diagnostische Zwecke nützlich sein und die Früherkennung von Zahnerkrankungen unterstützen, sondern auch zur zellbasierten Regeneration von beschädigten Teilen der Zähne beitragen“, erklärt Pagellas Kollege Thimios Mitsiadis abschließend. (IScience, 2021, doi: 10.1016/j.isci.2021.102405)
Quelle: Universität Zürich