Paläontologie

Erster Blick auf die Chromosomen eines Mammuts

52.000 Jahre altes Erbgut zeigt erstmals DNA-Aufteilung und sogar Genaktivität

Mammut und Erbgut
Paläogenetikern ist es erstmals gelungen, die Chromosomenstruktur eines 52.000 Jahre alten Wollhaarmammuts zu rekonstruieren. © Binia De Cahsan; Badhramani/Getty images

Genetische Zeitkapsel: Ein Permafrost-Fossil enthüllt erstmals die Chromosomenzahl und -struktur der Mammuts – und zeigt sogar die Genaktivität des vor 52.000 Jahren gestorbenen Tieres. Möglich wurde dieser paläogenetische Meilenstein durch ein Wollhaarmammut, dessen DNA durch rapides Gefriertrocknen „verglast“ wurde. Dadurch blieb die dreidimensionale Packung seines Erbguts erhalten und sogar Kennzeichen gerade aktiver DNA-Bereiche, wie das Team in „Cell“ berichtet. Dies eröffnet ganz neue Einblicke in das Genom früher Tiere.

Ob Mammut, Wollnashorn, Eiszeitwolf oder ein Urpferd: Schon häufiger haben Paläogenetiker die DNA von Jahrtausende alten Tier-Relikten gewonnen und analysiert – sogar das eine Million Jahre alte Erbgut eines Mammuts wurde schon geborgen. Möglich wurde dies, weil der Permafrost oder andere günstige Umstände die Gewebe samt DNA konservierte. Allerdings liegt das fossile Erbmaterial meist stark fragmentiert vor, was die Rekonstruktion erschwert.

Das Problem: Die meist nur wenige hundert Basenpaare langen DNA-Fragmente geben keine Auskunft über die übergeordnete Struktur des Genoms, beispielsweise wie die DNA auf Chromosomen aufgeteilt ist und welche Abschnitte gerade entpackt und aktiv waren. Diese Informationen lassen sich nur gewinnen, wenn auch die Chromosomenstruktur bei einem Fossil erhalten geblieben ist – und es eine Methode gibt, mit der sich diese Struktur auslesen lässt.

Mammutohr
Entnahme der Gewebeprobe aus dem Ohr des Mammuts. © Love Dalén/ Stockholm University

Ein sibirisches Mammut als Testobjekt

Genau dies ist nun einem Team um Marcela Sandoval-Velasco von der Universität Kopenhagen erstmals gelungen. Fünf Jahre lang hatten sie dafür verschiedenste Fossilien genetisch untersucht, bis sie fündig wurden: bei einem Wollhaarmammut, das rund 52.000 Jahre lang im sibirischen Permafrost eingefroren war. Von dem 2018 entdeckten Fossil sind selbst feine Gewebe und Strukturen wie die Haut und das Fell erhalten geblieben. „Wir vermuten, dass es kurz nach seinem Tod gewissermaßen gefriergetrocknet wurde“, sagt Koautorin Olga Dudchenko vom Baylor College of Medicine in Houston.

Damit bot dieses Mammut günstige Voraussetzungen für die Rekonstruktion auch der Chromosomenstrukturen. „Die Zellkern-Architektur in einer solchen dehydrierten Probe kann unglaublich lange Zeit überdauern“, erklärt Dudchenko. Um die Struktur der uralten Mammut-DNA zu entschlüsseln, entnahm das Team eine Hautprobe aus dem Ohr des Tieres und unterzog die Zellen dann einer sogenannten Hi-C-Analyse. Diese zeigt, welche DNA-Abschnitte im Zellkern nahe beieinander liegen und daher wahrscheinlich zum selben Chromosom gehören.

„Verglastes“ Erbmaterial

Und tatsächlich: Die Methode enthüllte erstmals die Chromosomenstruktur eines eiszeitlichen Mammuts. Sie machte sichtbar, wie das Genom des Tieres aufgeteilt war und welche DNA-Abschnitte gemeinsam ein Chromosom bildeten. „Viele Menschen waren schon überrascht, dass intakte Oligonukleotide der DNA in urzeitlichen Überresten erhalten bleiben“, konstatieren die Forschenden. „Jetzt gibt es eine weitere Überraschung: Selbst die nicht durch kovalente Bindungen geprägten Merkmale der Chromosomen blieben 52.000 Jahre lang in der Haut eines Mammuts konserviert.“

Wie aber ist dies möglich? Wie das Team herausfand, ist das Erbmaterial in den Mammutzellen „verglast“ – die Moleküle sind ihrer Position erstarrt und bilden eine feste, aber nicht kristalline Masse. „Dieses Chromatinglas ähnelt ein wenig dem gängigen Fensterglas“, erklärt Seniorautor Erez Lieberman Aiden. „In diesem Zustand können einzelne Partikel oder DNA-Fragmente sich nicht viel bewegen.“ Dadurch bleibt ihre dreidimensionale Orientierung zueinander selbst über Jahrtausende erhalten.

Mammutchromosomen
Rekonstruierte Chromosomen des Wollhaarmammuts. In seinen Zellkernen war das Erbgut auf 28 Chromosomen aufgeteilt. © Vinícius Contessoto, Antonio Oliveira Jr., José Onuchic/ Center for Theoretical Biological Physics.

28 Chromosomen und kaum Umlagerungen

Durch diesen paläontologischen Glücksfall ist es dem Forschungsteam erstmals gelungen, die Chromosomen eines ausgestorbenen Tieres zu zählen und zu rekonstruieren. „Wir haben herausgefunden, dass die Wollhaarmammuts 28 Chromosomen besaßen“, berichtet Koautor Juan Antonio Rodríguez von der Universität Kopenhagen. Demnach stimmte die Chromosomenzahl der Mammuts mit der der heutigen Elefanten überein – ihren nächsten noch lebenden Verwandten.

„Fossile Chromosomen sind ein echter Game-Changer, denn dies ermöglicht Einblicke, die zuvor nicht möglich gewesen sind“, erklärt Dudchenko. So ergaben die Analysen beispielsweise, dass sich die Aufteilung des Genoms auf die einzelnen Chromosomen in den letzten 52.000 Jahren der Rüsseltier-Evolution kaum verändert hat: Gegenüber heutigen Elefanten gab es kaum Umlagerungen größerer DNA-Abschnitte, wie das Team ermittelte.

Winzige Schleifen enthüllen Genaktivität

Weitere Analysen enthüllten, dass in den Mammutchromosomen sogar feinste Strukturen wie die bis zu 50 Nanometer kleinen Chromatinschleifen erhalten geblieben sind. „Diese DNA-Schleifen sind wichtig, weil sie aktivierende Steuersequenzen in die Nähe ihrer Zielgene bringen“, erklärt Koautor Marc Marti-Renom vom Nationalen Zentrum für Genomanalsen in Barcelona. Damit verraten diese Schleifen gemeinsam mit weiteren Merkmalen, welche Gene beim Mammut aktiv abgelesen wurden.

Mammutfell
Die rekonstruierte Genaktivität in den Hautzellen des Mammuts erklärt auch, warum diese Tiere so viel haariger waren als heutige Elefanten. © Love Dalén/ Stockholm University

„Zum ersten Mal haben wir hier Mammutgewebe, von dem wir nun wissen, welche Gene darin angeschaltet waren und welche nicht“, sagt Marti-Renom. „Das ist auch das erste Mal überhaupt, dass wir die zellspezifische Genaktivität in einer alten DNA-Probe bestimmen können.“ Vergleiche ergaben, dass die Genaktivität der Mammuthaut der heutiger Asiatischer Elefanten stark ähnelte – mit einigen entscheidenden Ausnahmen:

„Es zeigte sich, dass das Aktivitätsmuster von Schlüsselgenen für die Entwicklung von Haarfollikeln völlig anders aussah als bei Elefanten“, berichtet Marti-Renom. Das erkläre, warum die Mammuts einen dichten Pelz trugen, die heutigen Elefanten aber nicht mehr.

Denkbar auch bei anderen Eiszeittieren oder sogar ägyptischen Mumien

Nach Ansicht von Sandoval-Velasco und ihrem Team eröffnet dieser Durchbruch neue Möglichkeiten, Mammuts und andere ausgestorbene Tiere zu erforschen. Gleichzeitig schafft die Rekonstruktion der Chromosomen und Genaktivität auch wichtige Voraussetzungen, um beispielsweise Mammuts und andere ausgestorbene Tiere mithilfe ihres Erbmaterials wieder zum Leben zu erwecken.

Selbst die Chromosomenstruktur ägyptischer Mumien und anderer gut erhaltener menschlicher Überreste könnte so entschlüsselt werden. Denn einmal dehydriert, bleibt das verglaste Erbmaterial selbst bei Raumtemperatur stabil, wie die Forschenden in ergänzenden Tests mit Beef-Jerky feststellten:

„Wir feuerten eine Schrotflinte darauf ab, überfuhren es mit einem Auto und ließen einen Profi-Baseballer einen Baseball daraufschmettern“, schildert Ko-Erstautorin Cynthia Pérez Estrada von der Rice University in Houston die Härtetests. „Jedes Mal zerbrach das Jerky in winzige Stücke wie bei einem Glas. Aber auf der Nanoebene blieben die Chromosomen intakt, unverändert.“ (Cell, 2024; doi: 10.1016/j.cell.2024.06.002)

Quelle: Cell Press, Baylor College of Medicine

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