Zoologie

Erster Höhlenfisch Europas entdeckt

Forscher machen Sensationsfund am Bodensee

Die etwa acht Zentimeter große Höhlenschmerle ist der erste Höhlenfisch, der in Europa entdeckt wurde. © Jasminca Behrmann-Godel/ Universität Konstanz

Unerwarteter Fund: Forscher haben am Bodensee einen bisher unbekannten Höhlenfisch entdeckt – den ersten überhaupt in Europa. Das Tier lebt in unterirdischen Gängen im Versickerungsbereich der Donau und zog wahrscheinlich erst vor relativ kurzer Zeit unter die Erde. Demnach wanderte der Fisch nach dem Ende der letzten Eiszeit vor maximal 20.000 Jahren aus dem Fluss in das Unterwassersystem ein – und entwickelte sich daraufhin zu einem echten Höhlentier.

Höhlen sind kalt, dunkel und erscheinen auf den ersten Blick lebensfeindlich. Doch in diesen vermeintlich unwirtlichen Lebensräumen sind erstaunlich viele Tiere zuhause. Versteckt unter der Erde lebt eine artenreiche Fauna, die sich perfekt an ein Leben in völliger Dunkelheit angepasst hat. Zu diesen sogenannten Troglodyten gehören nicht nur Käfer, Krebse und Tausendfüßler – sondern zum Beispiel auch Höhlenfische.

Die schwimmenden Höhlenbewohner kommen unter anderem in Nord- und Südamerika sowie in Afrika vor, wo sie von Gewässern durchzogene, unterirdische Formationen besiedeln. Aus Europa hingegen waren Höhlenfische bisher nicht bekannt. Nach einem überraschenden Fund am Bodensee ist das nun allerdings anders.

Schmerle wagt sich ins Dunkel

Völlig unerwartet haben Wissenschaftler um Jasminca Behrmann-Godel von der Universität Konstanz in einem Unterwassersystem im Versickerungsbereich der Donau den ersten Höhlenfisch Europas entdeckt. Er ist damit zugleich der am Nördlichsten lebende Höhlenfisch der Welt. Bisher gingen Experten davon aus, dass sich solche Fische so weit nördlich nicht entwickelt haben können, da in der Eiszeit die Gletscher alles Leben unter sich begraben hatten.

Umso erstaunter waren Taucher, als sie im August 2015 das erste Exemplar in der Nähe der Quelle des Flusses Aach, nördlich des Bodensees fanden. Inzwischen gehen die Forscher davon aus, dass in dem insgesamt rund 250 Quadratkilometer großen Versickerungsbereich eine größere Population lebt.

Bei dem Tier handelt es sich um eine Schmerle der Gattung Barbatula, die besondere Ähnlichkeit mit der ebenfalls in der Region heimischen Bachschmerle hat. Genetische Analysen offenbarten, dass der Höhlenfisch tatsächlich eng mit dieser Art verwandt ist und wahrscheinlich direkt von ihr abstammt. Demnach könnte sich die Schmerle nach der letzten Eiszeit in der Gegend erstmals ins Dunkel des labyrinthischen Röhrensystems gewagt haben – und sich dort im Laufe der Zeit zu einem echten Höhlentier entwickelt haben.

Oberirdisch lebende Bachschmerlen sind deutlich stärker gefärbt als die verwandten Höhlenbewohner. © Xocolatl/ gemeinfrei

Ans lichtlose Leben angepasst

„Erst mit dem Rückzug des Gletschers ist das System für die Fische besiedelbar geworden“, sagt Mitautor Arne Nolte vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. „Irgendwann nach dem Ende der Würmeiszeit vor maximal 20.000 Jahren müssen sie dort eingewandert sein – und zwar aus der Donau, das können wir aus unseren genetischen Analysen klar erkennen.“

In dieser aus evolutionärer Sicht sehr kurzen Zeit haben sich die Fische bereits vollständig an das lichtlose Dasein angepasst und unterscheiden sich nun deutlich von ihren oberirdisch lebenden Verwandten: „Die Augen sind stark reduziert, fast als wären sie nach innen gestülpt. Auch die Färbung ist fast verschwunden“, berichtet Mitautor Jörg Freyhof vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Zudem hätten die Fische verlängerte Tastfortsätze am Kopf, sogenannte Barteln, und ihre Nasenöffnungen seien größer.

Unter der Erde: Keine Feinde

Das Leben unter der Erde bringt für die Höhlenschmerlen einen bedeutenden Vorteil mit sich. Denn in diesem Lebensraum gibt es für sie keine Fressfeinde. Nahrung hingegen ist in den überschwemmten, unterirdischen Gängen reichlich vorhanden. So machten die Forscher dort unter anderem kleine Höhlenkrebse, Höhlenasseln und Höhlenschnecken aus, die den Fischen als Nahrungsgrundlage dienen könnten.

In Zukunft wollen die Wissenschaftler die geheimnisvollen Höhlenfische eingehender untersuchen. Vor allem die junge Entstehungsgeschichte der Tiere ist für die Forschung interessant. „Wir sind hier auf einen echten Schatz gestoßen, der uns hilft, schnelle evolutionsbiologische Anpassungen besser zu verstehen“, sagt Freyhof. Zudem zeige die spektakuläre Entdeckung, dass sich sogar in Deutschland, einem der besterforschten Länder der Welt, immer noch etwas Neues finden lässt, heißt es in einer Mitteilung der Universität Konstanz. (Current Biology, 2017; doi: 10.1016/j.cub.2017.02.048)

(Universität Konstanz/ Forschungsverbund Berlin/ Cell Press, 04.04.2017 – DAL)

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