Geometrische Rarität: Strukturbiologen haben erstmals ein regelmäßiges molekulares Fraktal in der Natur entdeckt. Das von einem Cyanobakterium gebildete Enzym setzt sich spontan zu einem geometrischen Muster aus ineinander geschachtelten Dreiecken zusammen, dem sogenannten Sierpinski-Dreieck. Es ist das erste natürlich gebildete Molekül mit einer solchen selbstähnlichen Struktur, wie das Team in „Nature“ berichtet. Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Struktur und könnte es weitere Fraktale aus Molekülen geben?
In der Physik, der Musik und sogar bei brennendem Wasserstoff entstehen manchmal Muster, deren einzelne Komponenten fast dieselbe Form wie das Gesamtkonstrukt haben. Solche Fraktale wiederholen sich in sich selbst, vom Großen bis ins Kleinste. In der Natur sind solch nahezu selbstidentischen Konstrukte jedoch eher selten. Beispiele dafür sind Schneeflocken, Farnblätter oder Romanesco-Blumenkohlköpfe, aber auch die Wände unseres Herzens.
Auch Moleküle weisen gelegentlich eine gewisse Regelmäßigkeit auf, wenn man sie unter dem Mikroskop betrachtet. Sie können sich auch zu spektakulären Formen und komplexen geometrischen Strukturen zusammensetzen. Doch fraktale Molekül-Strukturen, die auch beim Hineinzoomen noch genauso aussehen wie aus weiter Entfernung, waren in der Natur bislang nicht bekannt.
Fraktaler Zufallsfund
Ein Forschungsteam um Franziska Sendker vom Max-Planck-Institut (MPI) für terrestrische Mikrobiologie in Marburg ist nun durch Zufall erstmals auf ein solches molekulares Fraktal gestoßen. Die Strukturbiologen entdeckten ein mikrobielles Enzym – die Citrat-Synthase aus dem Cyanobakterium Synechococcus elongatu –, das sich spontan zu einem regelmäßigen fraktalen Muster zusammensetzt. Dabei handelt es sich um das sogenannte Sierpiński-Dreieck – ein sich unendlich wiederholendes Muster von Dreiecken, die jeweils aus kleineren Dreiecken bestehen, wie das Team berichtet.
„Wir konnten es kaum glauben, als wir diese Struktur zum ersten Mal unter einem Elektronenmikroskop betrachteten“, sagt Sendker. „Das Protein bildet diese wunderschönen Dreiecke. Während das Fraktal wächst, sehen wir diese immer größeren dreieckigen Lücken in der Mitte. Das ist völlig anders als jede Proteinanordnung, die wir je zuvor gesehen haben.“ Dafür benötigt das Bakterium nicht einmal besondere Bedingungen: Raumtemperatur und ein wässriges Milieu mit neutralem pH-Wert reichen aus.
Asymmetrische Interaktionen erlauben die Fraktalbildung
Doch wie kam es zu dieser Ausnahme in der Natur? Warum bildet nur dieses Enzym eine fraktale Geometrie aus? Das haben Sendker und ihre Kollegen mit Hilfe der Cryo-Elektronenmikroskopie näher untersucht. Kein leichtes Unterfangen, sagt Koautor Jan Schuller von der Universität Marburg. „Unsere Bildanalysetechniken wurden durch die Tatsache verwirrt, dass die kleineren Dreiecke Unterstrukturen größerer Dreiecke sein können. Der Algorithmus konzentrierte sich zunächst auf diese kleineren Dreiecke, anstatt die größeren Strukturen zu sehen, zu denen sie gehörten“, erklärt er.
Die Auswertung ergab schließlich: Dieses Protein setzt sich zu einem Fraktal zusammen, indem es gegen die gängigen Symmetrieregeln in der Natur verstößt. Statt sich symmetrisch anzuordnen, gehen die einzelnen Proteinketten an verschiedenen Positionen leicht unterschiedliche Wechselwirkungen ein. Dadurch ordnen sich dreieckige Bausteine aus jeweils sechs Molekülen zu dreieckigen, hohlen Konstrukten aus 18 Molekülen an, die wiederum größere Strukturen bilden können. Auf diese Weise entsteht anstelle eines regelmäßigen Molekülgitters ein Sierpinski-Dreieck mit seinen großen inneren Hohlräumen, wie Sendker und ihre Kollegen feststellten.
Wozu dient ein molekulares Fraktal?
Um herauszufinden, ob das außergewöhnliche Enzym für das Bakterium einen biologischen Vorteil hat, manipulierte das Team das entsprechende Gen im Erbgut des Bakteriums, so dass sich keine Fraktale mehr bilden konnten. Doch das hatte keinen Einfluss auf das Wachstum oder den Stoffwechsel der Mikrobe, wie sich herausstellte. „Dem Cyanobakterium, in dem dieses Enzym vorkommt, scheint es ziemlich egal zu sein, ob sich seine Citrat-Synthase zu einem Fraktal zusammensetzen kann oder nicht“, sagt Schuller.
„Dies veranlasste uns zu der Frage, ob es sich dabei vielleicht nur um einen harmlosen Zufall der Evolution handelt“, sagt Seniorautor Georg Hochberg vom MPI für terrestrische Mikrobiologie. Um diese Theorie zu überprüfen, verglich das Team die Citrat-Synthasen von mehreren verwandten Cyanobakterien, die evolutionär unterschiedlich alt sind.
Evolutionärer Zufall
Dabei zeigte sich, dass für die fraktale Anordnung nur sehr wenige Mutationen im Gen des Enzyms notwendig waren. Die Forschenden identifizierten drei Aminosäuren in dem Protein, die für den Aufbau robuster Dreiecke nötig sind. Im Zuge der Evolution entstand das benötigte genetische Setting demnach tatsächlich relativ plötzlich, wie die Biologen berichten. In den meisten Cyanobakterien-Linien gingen die notwendigen Mutationen anschließend jedoch wieder verloren. Nur in einer einzigen Art, Synechococcus elongatu, blieben die Genmutationen und damit das fraktale Muster der Citrat-Synthase erhalten.
„In diesem Fall finden wir tatsächlich alle Merkmale eines evolutionären Zufalls: eine scheinbar komplexe biologische Struktur, die ohne guten Grund entstanden ist, einfach weil es sehr leicht war, sie zu entwickeln“, sagt Hochberg. Dass etwas so komplex Aussehendes wie ein molekulares Fraktal in der Evolution so leicht entstehen konnte, lässt die Biologen vermuten, dass in der Natur noch mehr überraschende Anordnungen von Proteinen und anderen Molekülen verborgen sein könnten. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07287-2)
Quelle: Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie