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Paläontologie

Erstes Genom eines europäischen Wollnashorns

Fund in Süddeutschland liefert ersten Einblick in den Stammbaum dieser Eiszeit-Nashörner

Wollnashorn
Während der Eiszeit lebten auch in Deutschland Wollnashörner. Jetzt haben Forschende erstmals das mitochondriale Genom eines dieser ausgestorbenen Tiere rekonstruiert. © CoreyFord/ Getty images

Eiszeit-Nashörner in Süddeutschland: Paläontologen ist es erstmals gelungen, das mitochondriale Genom eines europäischen Wollnashorns zu rekonstruieren – mithilfe von fossilem Hyänenkot aus zwei schwäbischen Höhlen. Bei der DNA-Analyse dieser mehr als 45.000 Jahre alten Funde entdeckten sie Erbmaterial von Wollnashörnern, die einst von den Hyänen gefressen worden waren. Dies erlaubte es, zum ersten Mal das Genom dieser europäischen Variante der Eiszeit-Nashörner zu gewinnen – und enthüllte Überraschendes zu ihrem Stammbaum.

Ob Rüsseltiere, Flusspferde, Nashörner oder Hyänen: Heute finden sich diese Tierarten nur noch in den Tropen und anderen wärmeren Gefilden, doch noch bis in die Eiszeit hinein gab es sie auch in Mitteleuropa. Einige von ihnen, wie die Mammuts oder das Wollnashorn (Coelodonta antiquitatis), waren speziell an die Kälte der Eiszeit angepasst und starben erst am Ende des Eiszeitalters vor rund 10.000 Jahren aus, wie Fossilfunde belegen.

Höhle
In den Höhlen des Lonetals am Südrand der Schwäbischen Alb fanden während der Eiszeit viele Tiere ein Refugium vor der Kälte – auch Hyänen und andere Raubtiere, die zuvor Wollnashörner gefressen hatten. © Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg

Vom Wollnashorn weiß man, dass es sich ursprünglich im Himalaya entwickelte und dann in den Kaltzeiten bis nach Europa vordrang. Doch wie stark sich die europäischen Varianten des Wollnashorns von ihren sibirischen Artgenossen unterschieden und ob sie im Laufe der Eiszeit zu einer eigenen Art oder Unterart wurden, ist bislang unklar. Der Grund: Genetische Information konnte bislang nur aus sibirischen Wollnashörnern rekonstruiert werden, nicht aber aus den europäischen Funden.

Hyänen-Kot aus schwäbischen Höhlen

Das hat sich nun geändert – durch einen glücklichen Zufall: Eigentlich wollten Peter Seeber von der Universität Konstanz und seine Kollegen nur herausfinden, was Hyänen im Lonetal am Südrand der Schwäbischen Alb vor rund 60.000 bis 45.000 Jahre gefressen hatten. Dafür sammelte das Team bei Ausgrabungen in zwei Höhlen, der Bockstein-Loch und Hohlenstein-Stadel, halbversteinerten Hyänenkot und analysierte die in diesen Koprolithen enthaltene DNA.

„Diese fossilen Exkremente sehen versteinert aus, sind aber sehr porös, fast wie Bimsstein, und nicht wirklich versteinert“, erklärt Seebers Kollegin Laura Epp. Wie in einer Zeitkapsel komprimiert und geschützt vor Verunreinigung, bleiben in solchen Koprolithen oft Zellen und DNA ihres Erzeugers, aber auch das genetische Material der von ihm gefressenen Tiere und Pflanzen erhalten.

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Koprolith
Koprolith einer Eiszeit-Hyäne aus der Höhle Hohlenstein im Lonetal. © Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg

Erste DNA-Rekonstruktion eines europäischen Wollnashorns

Die Analysen enthüllten Überraschendes: Neben der DNA der eiszeitlichen Hyänen entdeckten Seeber und sein Team in den Kotproben auch genetisches Material eines zweiten Tieres – eines Wollnashorns. Das zeigte sich durch Vergleiche der urzeitlichen Gensequenzen mit denen des heutigen Sumatra-Nashorns – dem engsten heute noch lebenden Verwandten der Wollnashörner.  Die Koprolithen aus beiden Höhlen enthielten demnach klare genetische Indizien dafür, dass die Hyänen vor mehr als 45.000 Jahren das Fleisch von Wollnashörnern gefressen hatten.

Auf Basis des Genmaterials im eiszeitlichen Hyänenkot ist es Seeber und seinem Team erstmals gelungen, das mitochondriale Genom eines europäischen Wollnashorns zu rekonstruieren. Aus einer der Proben konnten sie rund 27 Prozent dieses nur über die mütterliche Linie weitergegebenen Erbmaterials rekonstruieren, aus der zweiten sogar rund 81 Prozent. „Es ist ein bisschen verrückt, dass wir rein aus den fossilen Exkrementen einer Hyäne das erste mitochondriale Genom eines europäischen Wollnashorns rekonstruiert haben“, sagt Epp.

Einblick in den Stammbaum der Wollnashörner

Das Spannende daran: Das mitochondriale Genom eignet sich besonders gut dazu, Abstammungslinien und Verwandtschaftsverhältnisse zu rekonstruieren. Erstmals eröffnet das nun gewonnene genetische Material damit die Chance, mehr über die Geschichte der europäischen Wollnashörner und ihre Entwicklung aus ihren sibirischen Vorfahren zu erfahren. Seeber und seine Kollegen verglichen die Genome „ihrer“ Nashörner daher mit den beiden bisher rekonstruierten Genomsequenzen von sibirischen Wollnashörnern.

Das Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass dieses europäische Wollnashorn genetisch relativ weit entfernt ist von allen sibirischen Wollnashörnern, die bis jetzt sequenziert wurden“, sagt Seeber. „Die molekulare Datierung legt nahe, dass die Abspaltung der mütterlichen Linie unseres europäischen Wollnashorns von seinen sibirischen Artgenossen vor einigen hunderttausend Jahren stattfand – das passt zur Zeit der frühesten Fossilienfunde in Europa vor etwa 400.000 Jahren.“ Konkret datieren die Forschenden die Trennung beider Nashornformen auf die Zeitperiode zwischen zwei Millionen und rund 150.000 Jahren vor unserer Zeit.

Frühe Trennung von den sibirischen Vorfahren

Nach Angaben der Forschenden legt dies nahe, dass die Genpools der sibirischen und europäischen Wollnashorn-Populationen sich früher trennten als bislang angenommen. „Unser Ergebnis kontrastiert mit der Hypothese einer wiederholten Ausbreitung der sibirischen Wollnashörner nach Westeuropa während der Kaltzeiten des Pleistozäns – zumindest für die mitochondriale Stammeslinie unserer Probe“, schreiben Seeber und sein Team. Das könnte darauf hindeuten, dass die europäischen Wollnashörner nach ihrer ersten Ausbreitung nach Europa weitgehend isoliert blieben.

Allerdings: Noch basieren diese Annahmen auf der Rekonstruktion nur eines mitochondrialen Genoms und nur einer Fundregion. Um die Abstammungsgeschichte des europäischen Wollnashorns genauer zu ergründen, sind weitere genetische Rekonstruktionen und Proben nötig, wie das Team betont. Dabei könnten Koprolithe und andere Formen der Umwelt-DNA helfen: „Die Tatsache, dass diese Genome relativ leicht aus den Koprolithen einer anderen Spezies gewonnen wurden, unterstreicht den Wert von genomischen Daten aus einer breiten Palette von Materialien“, so Seeber und seine Kollegen. (Royal Society Biology Letters, 2023; doi: 10.1098/rsbl.2023.0343)

Quelle: Universität Konstanz

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