Evolution

Erstes Insekt mit drei Flügelpaaren

Helm der Zikaden ist erster Beleg für Existenz von Flügeln am ersten Thoraxsegment

Vielfalt der Helmbildung bei den Membracidae. Die biztrren Strukturen dienen meist der Mimikry oder Tarnung. © CNRS / Nicolas Gompel

Die Flügel sind in den 250 Millionen Jahren der Insektenevolution häufiger reduziert oder umgewandelt worden. Aber mehr als maximal vier Flügel gab es nie – so jedenfalls die bisherige Lehrmeinung. Doch jetzt haben Forscher eine Ausnahme entdeckt: Der auffallende Helm der Membracidae, einer Zikadengruppe, ist in Wirklichkeit ein drittes, umgeformtes Flügelpaar. Diese jetzt in „Nature“ veröffentlichte Erkenntnis ist der erste Beleg für Flügelbildung aus dem ersten Brustsegment der Insekten.

Die Flügelformen und Ausprägungen der Insekten sind extrem vielfältig: Fliegen haben ihr hinteres Flügelpaar zu Schwingkölbchen reduziert, Käfer und Schaben dagegen das vordere als Schutzhaut verfestigt. Zahlreiche Insekten haben ihre Flügel auch ganz abgeschafft, wie zum Beispiel Läuse und Flöhe. Allen gemeinsam war aber, dass die Flügel, wenn sie denn vorhanden sind, immer nur am zweiten und dritten Segment des Vorderkörpers, Thorax genannt, ansetzten, niemals aber am ersten Segment.

Zikaden mit Helm

Genau diese Lehrmeinung haben jetzt neue Ergebnisse zweier französischer Forscher torpediert. Nicolas Gompel und Benjamin Prud’homme von der Forschungseinrichtung CNRS hatten die Feinstruktur und Anatomie einer bestimmten Zikadengruppe, der Membracidae, genauer untersucht. Im Fokus stand dabei das auffallendste und vielfältigste Merkmal dieser Insektengruppe, der „Helm“, eine vom ersten Thoraxsegment ausgehende Ausstülpung, die den Kopf überwächst und in unterschiedlichsten Formen und Farben vorkommt. Einige dieser Helme gleichen einer Ameise in Angriffsposition, andere eher einem Klumpen Vogelkot oder zwei Hörnern.

Nature-Cover mit Helmzikade © Nature

Verschmolzene Flügel am ersten Thoraxsegment

Bisher galt der Helm als Auswuchs der Außenskelettplatten am ersten Thoraxsegment und damit als bloßer äußerer Anhang. Doch jetzt zeigten die Forscher, dass der Helm stattdessen aus einem verschmolzenen ersten Flügelpaar hervorgegangen ist. Elektronenmikroskopische Analysen enthüllten die bewegliche und von Muskeln und einer flexiblen Membran gehaltenen Aufhängung der Helmstrukturen. Darauf folgende Genanalysen belegten, dass die Gene, die normalerweise die Flügelentwicklung steuern, auch bei der Ausbildung des Helms aktiv sind.

Damit sind die Membraciden die ersten Insekten, die tatsächlich drei Flügelpaare besitzen, wenngleich das erste stark umgewandelt und nicht mehr als Flügel erkennbar ist. Aber warum? „Bei Insekten wird die Flügelbildung normalerweise durch das Hox-Gen in allen Segmenten außer dem zweiten und dritten Thoraxsegment unterdrückt“, erklärt Gompel. Die Forscher untersuchten daher, ob das Hox-Gen sich bei den Mebraciden ungewöhnlich verhält. Doch die Antwort war nein: Auch im ersten Thoraxsegment der Helmzikaden war Hox präsent und funktionsfähig.

Hox-Gen nichtmehr alleiniger Kontrolleur der Flügelbildung

„Wir stehen hier vor einem Paradox: ein Hox-Gen, dass fähig ist, die Flügelbildung zu unterdrücken, aber es nicht tut“, so Gompel weiter. „Wir glauben, dass die evolutionären Veränderungen stattdessen das genetische Programm der Flügelbildung beeinflusst haben muss: diese Gene könnten einfach gegenüber der Repression durch die Hox-Gene unempfindlich geworden sein.“ Die Helmzikaden sind damit nicht nur das erste Beispiel für ein Insekt mit einem umgebildeten Flügel am ersten Thoraxsegment, sondern gleichzeitig auch der Beleg dafür, dass die Flügelbildung nicht allein über die Hox-Gene bestimmt wird. (Nature, 2011; DOI: 10.1038/nature09977)

(CNRS (Délégation Paris Michel-Ange), 09.05.2011 – NPO)

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Der Superorganismus - Der Erfolg von Ameisen, Bienen, Wespen und Termiten von Bert Hölldobler und Edward O. Wilson

Tierisch! - Expedition an den Rand der Schöpfung von Dirk Steffens

Verborgene Welten - Das geheime Leben der Insekten von David Attenborough

Kunst der Tarnung - von Art Wolfe und Barbara Sleeper

Gipfel des Unwahrscheinlichen - Wunder der Evolution von Richard Dawkins

Top-Clicks der Woche