Im Laufe der Evolution bleiben lebenswichtige Organe oft lange unverändert, um dann scheinbar plötzlich völlig neue Funktionen oder Strukturen zu erhalten. Eine mögliche Erklärung für diesen Prozess haben jetzt Tübinger Forscher beim Vergleich der beiden Fadenwürmer Caenorhabditis elegans und Pristionchus pacificus entdeckt.
Der Eiablageapparat ist bei den beiden nur entfernt verwandten Tieren verblüffend ähnlich geblieben, seine Entwicklung wird jedoch unterschiedlich gesteuert. Die Veränderung nur eines einzigen kurzen Proteinabschnitts habe dabei ein ganzes Signalnetzwerk zur Entwicklung von Organen umgelenkt, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift „PLoS Biology“. Die Evolution scheine dabei die vorhandenen Signalwege fast wie ein Baukastensystem zu nutzen. Dies unterstütze die Theorie über die Verschiebung der Entwicklungssysteme im Laufe der Evolution. Sie besagt, dass sich Organe in ihrer Form bei verschiedenen Arten häufig über eine längere Zeit kaum verändern, während die Mechanismen, die ihre Entwicklung steuern, erheblich variiert werden können.
„Ich glaube nicht, dass wir bei den Fadenwürmern eine ungewöhnliche Ausnahme entdeckt haben. Man weiß, dass solche Prozesse zur Entstehung von Krebs beim Menschen führen können. Aber genauso können sie auch zu allgemeinen Veränderungen führen, die der natürlichen Selektion unterliegen und so in der Evolution weitergegeben werden“, sagt Xiaoyue Wang vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie.
Modellorganismus Caenorhabditis elegans
Der Nematode Caenorhabditis elegans gilt als Modellorganismus der Genetik. Forscher haben sein Erbgut längst vollständig entziffert, das Schicksal jeder seiner genau 959 Zellen ist bekannt. Pristionchus pacificus gleicht Caenorhabditis elegans stark, gehört aber zu einer anderen Familie. Der letzte gemeinsame Vorfahre lebte vor 250 bis 420 Millionen Jahren, noch vor der Zeit der Dinosaurier. „Für unsere Vergleiche dürfen die Lebewesen nicht zu nah verwandt sein, weil sich geringe Unterschiede im Erbgut nur schwer bestimmten Ereignissen in der Evolution zuordnen lassen“, erklärt Wang.
Eiablageapparat der Fadenwürmer untersucht
Die Forscher konzentrierten sich auf die Untersuchung der Vulva der Fadenwürmer, des Eiablageapparats. Dieser wirkt bei beiden nicht nur auf den ersten Blick nahezu identisch, er wird auch nach dem gleichen Muster aus sechs Vorläuferzellen gebildet. Den entscheidenden Unterschied machten die Forscher in einem Proteinbauplan aus: Nur eine Mutation sorgt dafür, dass eine Signalkette bei dem einen Fadenwurm stoppt, bei dem anderen aber noch um 17 Aminosäuren weitergeht.
Dieser modulare Aufbau der Proteine mache es möglich, dass wichtige Organe und Strukturen über die Evolution hinweg konserviert bleiben, während gleichzeitig – quasi im Hintergrund – Neuerungen eingeführt werden, berichten die Forscher. Wie groß die Rolle dieser Mechanismen für die Evolution insgesamt ist, bleibe zu klären. (PLoS Biology, 2011)
(Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie / PLoS Biology / dapd, 27.07.2011 – NPO/DLO)