Artensprung: Ein besonders aggressiver Stamm des Vogelgrippevirus H5N1 hat schon Millionen Vögel getötet, jetzt befällt er auch immer häufiger Säugetiere. Zuletzt sorgten Funde in Milchkühen und Delfinen in den USA für Aufsehen unter Experten. Dadurch erscheint auch das Überspringen auf den Menschen immer wahrscheinlicher. Wie beurteilen Gesundheitsbehörden und Virologen die Situation?
Influenzaviren befallen nicht nur uns Menschen, sondern sorgen auch unter Vögeln und anderen Tieren wie Schweinen regelmäßig für Seuchenausbrüche. Seit 1996 hat sich das aus Asien stammende Vogelgrippevirus H5N1 weltweit ausgebreitet. Von ihm sind seither durch die Massentierhaltung von Geflügel neue hochpathogene Virusmutanten entstanden.
Immer mehr Säugetiere in Gefahr
Ein besonders tödlicher, hochpathogener Stamm des Vogelgrippevirus H5N1 hat seit 2021 bereits zum Tod von Millionen Wildvögeln und Nutztieren geführt. Sogar bis in entlegene Regionen wie der Antarktis ist dieser Virenstamm zuletzt vorgedrungen, wahrscheinlich über Zugvögel eingeschleppt. Funde in Raubvögeln wie Adler, Eulen und Geier legen nahe, dass sich dieses Virus nicht nur innerhalb einzelner Populationen und Arten, sondern über das Jagdverhalten auch zwischen verschiedenen Vogelspezies ausbreitet.
Inzwischen sind auch schon untypische Vogelarten sowie diverse Säugetierarten von dem hochpathogenen Influenzastamm betroffen, sowohl in freier Wildbahn als auch in Ställen. Berichte von solchen zoonotischen Artsprüngen gibt es beispielsweise von Mardern, Füchsen, Stinktieren, Nerzen und anderen fleischfressenden Landtieren, aber auch von Meeressäugern.
Experten fürchten daher, dass die Viren auf weitere Säugetiere oder gar auf den Menschen überspringen könnten und sich die Pandemie weiter ausbreitet.
H5N1 erstmals auch bei Milchkühen
Für Aufsehen sorgte kürzlich eine Untersuchung von Milchkühen in den USA. In 20 Prozent der getesteten Supermarktmilch fand die US-Gesundheitsbehörde FDA Bestandteile des Vogelgrippevirus H5N1. Wie viele Kühe inzwischen mit der Vogelgrippe infiziert sind, lässt sich aus den Milchproben allerdings nicht direkt ableiten. Wie das US-Landwirtschaftsministerium mitteilte, sind in den USA aktuell mindestens 34 Herden in neun Bundesstaaten infiziert. Die H5N1-Viren der hochpathogenen Klade 2.3.4.4b wurden erstmals im Februar bei Milchkühen in Texas nachgewiesen, kursieren aber möglicherweise bereits seit Dezember in Viehställen. Die betroffenen Kühe zeigen eher milde Symptome wie verminderten Appetit und geben weniger Milch.
Das Neue daran: Rinder galten bisher nicht als Wirt des Vogelgrippevirus. Wie dieses auf die Kühe übertragen wurde, ist nicht eindeutig geklärt. „Es gibt viele Fragen und bisher nicht viele Antworten“, sagte der Virologe Florian Krammer vom Mount Sinai Krankenhaus in New York gegenüber „Nature“. Erste Hinweise deuten jedoch auf eine einmalige Infektion einer Kuh durch einen kranken Vogel hin, so das US-Landwirtschaftsministerium. Die weiteren Kühe könnten sich dann über die Atemwege oder beim Melken über das Euter untereinander mit dem Virus infiziert haben, etwa über kontaminierte Melkgeräte.
Sollte sich dies bestätigen, könnte dieser Stamm von H5N1 Fähigkeiten besitzen, die ihm eine Übertragung von Säugetier zu Säugetier ermöglichen. Eine solche direkte Ansteckung gilt als eine der Voraussetzungen für einen Erreger, um sich nach Überwinden der Artbarriere auch beim neuen Wirt ausbreiten zu können.
Delfine und Robben an Vogelgrippe gestorben
Neben den jüngsten Fällen in Kühen lassen noch weitere Funde des H5N1-Virus bei Säugetieren aufhorchen. Ein Team um Allison Murawski von der University of Florida entdeckte beispielsweise 2022 einen verirrten Delfin, der sich mit dem Vogelgrippe-Erreger angesteckt hatte und kurz darauf starb. Gehirn und Lunge des Großen Tümmlers (Tursiops truncatus) waren ebenfalls mit dem Subtyp 2.3.4.4b des Vogelgrippe-Virus H5N1 infiziert, wie nachfolgende Obduktionen und Gewebeanalysen von verschiedenen US-Behörden ergaben.
Andere Forschungsteams hatten in den vergangenen Jahren auch schon vereinzelt von Meeressäuger-Infektionen mit dem Subtyp 2.3.4.4b des H5N1-Virus berichtet. Betroffen waren verschiedene Delfinarten in Süd- und Nordamerika und Europa. Doch wie haben sich die Delfine mit der Vogelgrippe angesteckt? Die Forschenden vermuten einen Infektionsweg über lokale Vogel- und Robbenpopulationen. Denn in verstorbenen Seelöwen, Seehunden und Kegelrobben wurde H5N1-Viren zuvor bereits in Nord- und Südamerika entdeckt.
Genomanalysen aus Florida konnten diese Theorie jedoch bislang nicht bestätigen: Es zeigte sich kein genetischer Hinweis auf die Herkunft oder die Infektiosität des Virus. „Wir wissen immer noch nicht, wo der Delfin das Virus bekommen hat. Es muss noch mehr Forschung betrieben werden“, sagt Richard Webby vom St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis. Er und seine Kollegen vermuten jedoch eine Ansteckung über das Blut statt über die Atemwege.
Die Tests ergaben indes, dass das Virus aus dem Delfin eine Mutation enthielt, die es widerstandsfähiger gegen das gängige Grippemedikament Oseltamivir machen. Das lässt befürchten, dass dieser Virustyp schwer zu behandeln wäre. Das Team geht jedoch davon aus, „dass das Medikament immer noch nützlich sein würde“. Weitere Mutationen, die auf eine Anpassung des Virus an Meeressäuger hindeuten, fanden sich bisher nicht.
H5N1: Eine Gefahr für den Menschen?
Bedrohlich sind die Vogelgrippe-Viren des hochpathogenen H5N1-Stamms weiterhin vor allem für die Geflügel- und Wildvogelbestände weltweit. Infizierte Vögel sterben zu fast 100 Prozent daran. „Hier müssen wir sehr aufmerksam auf Australien mit seiner einzigartigen Tierwelt schauen, den letzten Kontinent ohne HPAIV-H5N1-Virusbefall“, sagt der Virologe Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut.
Auch für den Menschen können H5N1-Viren theoretisch zur Gefahr werden. Gesundheitsbehörden wie die Weltgesundheitsorganisation WHO und die United States Centers for Disease Control and Prevention (US CDC) stufen das derzeitige Gesundheitsrisiko von H5N1-Viren für den Menschen allerdings als noch relativ gering ein. „Eine weitere Ausbreitung des Virus in Form einer Epidemie oder gar Pandemie [in der menschlichen Bevölkerung] ist eher unwahrscheinlich“, sagt auch der Virologe Martin Schwemmle vom Universitätsklinikum Freiburg.
Dieses Vogelgrippevirus ist zwar grundsätzlich auch auf den Menschen übertragbar und kann bei uns zu milden bis schweren Atemwegserkrankungen oder gar zum Tod führen. Eine Infektion von Menschen durch Vögel oder Kühe ist jedoch bisher eher selten. Seit 2003 wurden der WHO nur rund 890 Fälle weltweit gemeldet. Eine direkte Übertragung der Vogelgrippe-Variante H5N1 von Mensch zu Mensch ist zudem nach jetzigem Wissensstand nicht möglich.
Enge Überwachung der Tierwelt gefordert
Trotz der Fähigkeit des hochpathogenen H5N1-Stammes, Säugetiere zu infizieren, wurden bislang keine Mutationen in den Viren gefunden, die auf eine neu erworbene Anpassung an Säugetiere hindeuten. Bisher ist H5N1 „maximal an den Vogel angepasst“, sagt Beer. „Für eine Übertragung auf den Menschen muss das Virus einige Hürden überwinden, weil wir zum Beispiel eine wirksame angeborene Immunität gegen solche Influenzaviren besitzen.“ Eine Gefahr für den Menschen durch kontaminierte Milch von Kühen besteht ebenfalls nicht, weil das Virus bei der Pasteurisierung abgetötet wird.
Um die weitere Entwicklung und Verbreitung des H5N1-Virus und anderen H5Nx-Viren im Blick zu behalten, empfehlen Forschende, tote Vögel und gestrandete Meerestiere standardmäßig auf Vogelgrippe zu testen. Auch Milchkühe sollten regelmäßig getestet werden. Das US-Landwirtschaftsministerium hat bereits eine entsprechende Verordnung erlassen, Schwemmle rät auch für Europa zu einer engmaschigen Überwachung. Denn mit jedem neuen Viruswirt, der in engerem Kontakt zu Menschen steht, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung des H5N1-Virus auf den Menschen. (Communications Biology, doi: 10.1038/s42003-024-06173-x)
Quellen: University of Florida, Science Media Center, Nature
zuletzt aktualisiert am 30.04.2024 um 09.45 Uhr