Infektionsmediziner sehen in der rasanten Zunahme multiresistenter Krankheitserreger eine ernste Bedrohung. Hauptursache dafür sei unnötiger Antibiotikaeinsatz, unter anderem durch falsche oder unzureichende Diagnosen. Das erklärten führende Wissenschaftler und Infektiologen im Rahmen eines Treffens in Berlin, auf dem über aktuelle Gefahren durch Infektionskrankheiten und geeignete Schutzmaßnahmen diskutiert wurde. Positiv wurden dagegen die Fortschritte der Impfstoffforschung bewertet.
Grippe-Virus A/H1N1: Die Gefahr ist die Mutation
Zum neuen Grippe-Virus A/H1N1 in Deutschland erklärte Professor Reinhard Kurth vom Robert Koch-Institut: „Die Gefahr besteht, dass das Virus mutiert und weitaus gefährlicher wird, als es bislang ist.“ Kurth sprach von einem „großen Glück“, dass das Virus so abgeschwächt sei. „Optimismus darf aber keine Vorsoge ersetzen“, mahnte Kurth. Impfung sei der beste Schutz, um die Gefahr der Verbreitung und Mutation des Virus einzudämmen. Dass innerhalb von nur sechs Monaten ein Impfstoff entwickelt wurde, werteten viele Fachleute als großen Erfolg. „Das zeigt einmal mehr, welches Potenzial in der Impfstoffforschung steckt“, betonte Professor Norbert Suttorp, Lehrstuhlinhaber für Infektiologie an der Charité, Universitätsmedizin Berlin.
Multiresistente Keime: Keine neuen Substanzen in Sicht
Impfungen könnten auch nützliche Helfer sein, um das Problem der Resistenzentwicklung in den Griff zu bekommen, meinten die Experten in Berlin. Denn gefährliche Krankheitserreger, die gegen antivirale Substanzen oder Antibiotika resistent sind, breiten sich weltweit immer weiter aus. Vor allem Antibiotika-Resistenzen machen den Wissenschaftlern zu schaffen. Angesichts von rund 500.000 Tuberkulosefällen mit multiresistenten Erregern im Jahr 2006 erklärte der Präsident des Robert Koch-Instituts Professor Jörg Hacker in Berlin: „Bei multiresistenter Tuberkulose wie MDR-Tb sind wichtige Medikamente wirkungslos.“ Den Opfern solcher Erreger blieben kaum Therapieoptionen und bei der extrem resistenten Tuberkuloseform XXDR-Tb gebe es keinerlei Behandlungsmöglichkeit.
Ähnlich besorgniserregend ist die weltweite Zunahme des Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Nach Angaben von Professor Ivo Steinmetz vom Friedrich-Löffler-Institut in Greifswald erkranken in Europa jedes Jahr etwa drei Millionen Patienten an einer MRSA-Infektion – 50.000 bis 100.000 sterben daran. Besonders alarmierend sei, dass ein Großteil der Antibiotika-Resistenzen im Krankenhaus entstehe. Experten schätzen, dass mindestens 20 Menschen pro Tag in Deutschland sterben, weil sie sich im Krankenhaus mit multiresistenten Keimen infiziert haben.