Explosive Dynamik: Spritzgurken (Ecballium elaterium) tragen ihren Namen wegen ihrer „spritzigen“ Samenausbreitung. Die wilde Kürbisart schießt ihre Samen in einem Hochdruckstrahl mit einer Geschwindigkeit von bis zu 20 Meter pro Sekunde aus, wie Biologen nun ermittelt haben. Das ist eine der schnellsten Bewegungen, die im Pflanzenreich je dokumentiert wurde. Durch das explosionsartige Abwerfen des Fruchtkörpers werden die Samen bis zu zehn Meter weit von der Mutterpflanze weggeschleudert. Dabei kombiniert die Pflanze mehrere „Tricks“.
Spritzgurken (Ecballium elaterium), auch Eselsgurken genannt, zählen zu den Kürbisgewächsen und sind im Mittelmeerraum heimisch. Ihren Namen tragen diese Wildpflanzen wegen des gurkenhaften Aussehens ihrer eiförmigen, grünen Früchte und weil sie ihre Samen explosionsartig „verspritzen“. Das geschieht so schnell, dass es mit bloßem Auge kaum sichtbar ist, und ist so effektiv, dass die Gurken oft als Unkraut gelten. Ein solches Schussverhalten ist nur von wenigen anderen Pflanzen bekannt.
Wie genau die Spritzgurke dieses explosive Samenausschleudern bewerkstelligt, war bislang unklar. „Seit Jahrhunderten fragen sich die Menschen, wie und warum diese außergewöhnliche Pflanze ihre Samen auf so gewaltsame Weise in die Welt schickt“, sagt Seniorautor Chris Thorogood vom Botanischen Garten der Universität Oxford.
Mit Fotos und Videos dem Samenausstoß auf der Spur
Wie die Mechanik des Samenauswurfs in Spritzgurken funktioniert, hat nun ein Team um Thorogood und Erstautor Finn Box von der University of Manchester untersucht. Dafür kombinierten die Biologen verschiedene Experimente, bei denen sie die reifenden Früchte mehrerer Spritzgurken im Botanischen Garten der Universität Oxford über mehrere Wochen hinweg beobachteten.
Dabei vermaßen die Forschenden die einzelnen Pflanzenteile, fotografierten und filmten mittels Hochgeschwindigkeits-Videografie den Ablauf der Fruchtreife und Samenverbreitung. Anschließend analysierten sie die Bilder und rekonstruierten daraus mithilfe physikalischer Modelle den Reife- und Abschussprozess. Indem sie einzelne Parameter in den Berechnungen künstlich veränderten, prüften sie deren Einfluss auf den Samenauswurf.
Vorbereitung: Abschusswinkel einstellen
Im Zeitraffer zeigten die Aufnahmen: Einige Tage vor dem Samenauswurf ändern die Früchte der Spritzgurke langsam ihre Ausrichtung. Während sie vorher nahezu vertikal zu ihren senkrechten Stielen positioniert waren, ändern sie ihren Winkel nun auf etwa 43 Grad zum Stiel hin. Das ergibt einen optimalen Abschusswinkel für die Samen, wie die Modellberechnungen ergaben.
Um diese Position zu erreichen, bildet die Pflanze zunächst eine Samenflüssigkeit, die den Fruchtkörper unter Druck setzt. Dann verteilt sich ein Teil der Flüssigkeit um, von den Früchten in den Stiel, so dass dieser länger, dicker und steifer wird. Gleichzeitig werden die etwa 3,5 Zentimeter großen Gurken etwas kleiner und vom Stiel weggedrückt.
Kombination aus Explosion und Rotation
Wenn die Früchte reif sind, zieht sich die Stielspitze ruckartig zurück und zwingt die Früchte zu einer gegenläufigen Bewegung. Dadurch brechen sie schließlich vom Stiel ab. Durch den Druckunterschied zwischen Innen und Außen strömen ihre rund 50 Samen und die Flüssigkeit dann in einem schnellen Strahl aus der so entstandenen Öffnung. Im Experiment betrug die Abschussgeschwindigkeit anfangs 20 Meter pro Sekunde, nahm dann jedoch mit der Zeit und sinkendem Druck aus dem Fruchtinneren ab. Der ganze Prozess dauerte nur 30 Millisekunden.
Während die reifen Gurken vom Stiel fallen, drehen sie sich zudem. Durch diese Kombination von explosionsartigem Austritt und Rotationsdrehung werden die Samen zwischen vier und zwölf Meter weit von der Mutterpflanze weggeschleudert. Das ist rund 250-mal weiter als die Früchte groß sind. Da jede Pflanze dutzende Gurken trägt, die in verschiedene Richtungen zeigen, breiten sich ihre Samen in Summe ringförmig und gleichmäßig rund um den Stiel herum aus.
Spritzgurke: Rarität unter den Pflanzen
Box und seine Kollegen vermuten, dass die Spritzgurken durch diese gleichmäßige Form der Samenausbreitung ihren Fortpflanzungserfolg erhöhen, weil sie so Gedränge rund um die Elternpflanzen vermeiden und die Nachkommen dadurch weniger um Lebensraum konkurrieren. In Folgestudien wollen die Forschenden nun prüfen, ob und wie der Wind bei diesem Phänomen mitwirkt.
Ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten machen die Spritzgurke zu einer ganz besonderen Pflanze. Es handelt sich bei dem Samenabschuss der Spritzgurke um eine der schnellsten Bewegungen, die im Pflanzenreich je dokumentiert wurden, erklären die Biologen. Die Flüssigkeitsumverteilung in den Stiel wurde überhaupt zum ersten Mal bei einer Pflanze beobachtet. Zusammengenommen ist es einer der bemerkenswertesten und raffiniertesten Samenausbreitungsmechanismen im Pflanzenreich, so Box und seine Kollegen.
Vorbild für präzise Wirkstofffreisetzung?
Die Studie lüftet damit das Rätsel um ein lange bestauntes Phänomen. Darüber hinaus könnten die Erkenntnisse aber auch praktischen Nutzen haben. „Diese Forschung bietet potenzielle Anwendungsmöglichkeiten in der bioinspirierten Technik und Materialwissenschaft, insbesondere bei Arzneimittelverabreichungssystemen auf Abruf, beispielsweise Mikrokapseln, die Nanopartikel ausstoßen, bei denen die präzise Kontrolle der schnellen, gerichteten Freisetzung von entscheidender Bedeutung ist“, sagt Box. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2410420121)
Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), University of Oxford