Zoologie

Faultiere doch keine Wirbel-Exoten

Studie: Tierart weist den für Säugetiere typischen Wirbelsäulenbauplan auf

Dreifinger-Faultier (Bradypus Tridactylus) © UZH

Fast alle Säugetiere haben sieben Halswirbel. Ausnahmen gibt es nur wenige. Zu ihnen zählt das Faultier mit acht bis zehn Halswirbeln – dachte man zumindest bisher. Ein internationales Forscherteam hat jetzt jedoch bewiesen, dass auch das Faultier keine Besonderheit ist und ebenfalls „nur“ sieben Halswirbel besitzt.

Diese Erkenntnis resultiert aus der Untersuchung des Verknöcherungsprozesses, berichtet die Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS).

Säuger: Exakt sieben Halswirbel

Ein Vergleich zwischen den Wirbelsäulenbauplänen von Vögeln, Schlangen, Echsen und vielen anderen Tieren offenbart einen eindrucksvollen Variantenreichtum. Dies bezieht sich auch auf die Zahl der Halswirbel. So hat beispielsweise ein Schwan doppelt so viele Halswirbel wie ein Singvogel.

Ein ganz anderes Bild zeigt sich diesbezüglich bei den Säugetieren: So unterschiedlich die Arten sind, alle haben gleich viele Halswirbel: Die Giraffe und der Mensch, die Maus, der Elefant und auch das Gürteltier, alle besitzen exakt sieben. Unter den rund 5.000 Säugetierarten gibt es nur wenige, deren Halswirbelzahl von dieser Norm abweicht.

Entstehungsgeschichtliche Unterschiede

Zu diesen Ausnahmen gehörten gemäß bisheriger Annahme die Faultiere: Im Halsbereich haben sie acht bis zehn rippenlose Wirbel, die in Analogie zu den übrigen Säugetieren als Halswirbel bezeichnet wurden. Denn der in der Anatomie gebräuchlichen Definition zufolge gehören alle Wirbel, die oberhalb des Schultergürtels liegen, zu den Halswirbeln. Merkmale für Brustwirbel dagegen sind deren Rippenfortsätze.

Marcelo R. Sánchez, Paläontologe der Universität Zürich, ist zusammen mit zwei Kolleginnen Teil einer internationalen Forschergruppe, die erstmals den Verknöcherungsprozess der Tiere analysiert hat – auf der Suche nach einer Erklärung für die Abweichungen zwischen dem Wirbelsäulenbauplan der Faultiere und jenem der übrigen Säuger. Dabei sind die Forscher auf aufschlussreiche entstehungsgeschichtliche Unterschiede gestoßen.

Wirbelsäulenbauplan des Dreifinger-Faultier-Embryos Bradypus Tridactylus; seitliche Ansicht einer 3-D-Skelett-Rekonstruktion (Computertomografie-Bild; rot, blau: Anlage der Wirbelsäule; grün, orange: Schulter- und Beckengürtel) © UZH

Aus Halswirbel werden Brustwirbel

Die Wissenschaftler erforschten mit computertomografischen Methoden die Verknöcherungsprozesse von Hals- und Brustwirbeln an seltenen Faultier-Embryonen aus alten Museumssammlungen. In der Folge konnten sie nachweisen, dass bei allen Säugetieren die Verknöcherung der obersten Brustwirbel jeweils vor der Verknöcherung der Halswirbel stattfindet. Einzige Ausnahme: Faultiere.

Bei den so genannten Dreifinger-Faultieren findet die Verknöcherung der Rumpf- und der rippenlosen Halswirbel vor der Verknöcherung der Wirbel des Brustkorbs statt. Dabei machten die Forscher eine erstaunliche Entdeckung: Die untersten ein bis drei, als „Halswirbel“ bezeichneten Wirbel der Faultiere weisen in ihrer Entstehung eine große Ähnlichkeit mit Brustwirbeln auf, sind aber im Unterschied zu diesen nicht mit Rippen versehen.

Daraus folgt nach Angaben der Wissenschaftler: Entstehungsgeschichtlich sind die untersten ein bis drei Wirbel im Halsbereich von Faultieren nichts anderes als rippenlose Brustwirbel. Das heißt, die Zahl der effektiven Halswirbel reduziert sich damit auch für Faultiere auf sieben – womit folglich selbst diese Tierart den für Säugetiere typischen konservativen Wirbelsäulenbauplan aufweist.

Unterschiedliche embryonale Ursprünge

Die neuen Resultate unterstützen den Forschern zufolge die These, dass Wirbel, Glieder und zumindest Teile des Brustkorbs unterschiedliche embryonale Ursprünge haben. Bei Dreifinger-Faultieren sind die Position von Schulter, Becken und Brustkorb voneinander abhängig.

Im Vergleich zu den Vorfahren, die sie mit anderen Säugetieren teilen, sind beim Dreifinger-Faultier die Positionen von Schulter, Becken und Brustkorb auf der Wirbelsäule nach unten verschoben, wodurch der Hals länger wird. Mehr Halswirbel als andere Säuger hat aber das Faultier im Rahmen der Entwicklungsgeschichte nicht produziert.

Animationsfilm einer 3D-Rekonstruktion des CT-Scans eines embryonalen Faultierskelettes (Bradypus variegatus, Braunkehlfaultier)

(idw – Universität Zürich, 19.10.2010 – DLO)

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