Paradoxer Effekt im Frostschutz: Die Schutzproteine von Antarktisfischen verhindern offenbar nicht nur die Entstehung von Eiskristallen bei tiefen Temperaturen – sie lassen dennoch entstehendes Eis auch bei bis zu einem Grad über Null nicht schmelzen. Ein solcher Effekt war in der Biologie bisher unbekannt, schreiben die Forscher im Magazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Die Fische müssen mit dieser unerwünschten Nebenwirkung offenbar irgendwie zurechtkommen.
Eisfrei unter Null: Durch seinen Salzgehalt gefriert das Wasser des südlichen Ozeans auch bei Temperaturen um minus 1,9 Grad Celsius noch nicht. Doch für die Körperflüssigkeiten der Fische in diesem frostigen Lebensraum gilt das eigentlich nicht – daher bilden sie spezielle Frostschutzmittel, um nicht einzufrieren.
Frostschutz funktioniert nicht hundertprozentig
Besonders erfolgreich sind dabei die sogenannten Antarktisfische: Sie stellen 75 Prozent aller in den antarktischen Gewässern lebenden Fischarten. Verantwortlich für ihren Erfolg war vermutlich ihre evolutionäre Schlüsselinnovation des Frostschutzes: Die schon seit einiger Zeit bekannten Anti-Frost-Proteine lassen die Fische jedoch auch bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt überleben, indem sie Wasser an sich binden und die Entstehung von Eiskristallen verhindern. Viele andere Fischarten verschwanden dagegen aus dem zuvor warmen südlichen Ozean, als die Antarktis im Zuge der globalen Abkühlung vor rund 35 Millionen Jahren vergletscherte.
Forscher um Paul Cziko von der University of Oregon in Eugene sind den Eigenschaften des Bio-Frostschutzmittels erneut genau nachgegangen, und haben eine überraschende Eigenart festgestellt: Der Frostschutz funktioniert nicht hundertprozentig perfekt. Wildlebende Antarktisfische weisen winzige Eiskristalle in ihren Körpern auf – trotz vorhandenen Frostschutz-Proteinen. Dies bestätigten Cziko und seine Kollegen durch Untersuchungen der Fische im Labor. Bei Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes bilden sich kleine Eiskristalle im Körper der Fische.
Die zweite Überraschung folgte, als die Forscher die Temperaturen über den Gefrierpunkt brachten: Sogar noch bei einem Grad Celsius plus schmolzen die Eiskristalle nicht. Weitere Analysen zeigten dann, dass für diesen Effekt die eigentlichen Anti-Frost-Proteine verantwortlich waren. Es handelt sich also auch um Anti-Tau-Proteine.
Erster biologischer Effekt für Über-Erwärmung von Eis
„Diese Entdeckung ist unserer Kenntnis nach das erste Beispiel eines biologischen Effekts, der eine Übererwärmung von Eis ermöglicht“, sagt Co-Autorin Christina Cheng von der Universität Illinois. „Wahrscheinlich handelt es sich um einen unerwünschten Nebeneffekt, der bei der Entwicklung der Anti-Frost-Proteine der Antarktisfische entstanden ist“. Denn vermutlich wirken sich die tauresistenten Kristalle negativ auf den Organismus der Fische aus. Ähnlich wie die feinen Fasern des Asbests könnten sie Gewebestrukturen beschädigen, sagen die Forscher.
Sie vermuten, dass die Fische zusätzliche Strategien entwickelt haben, um sich vor diesen Effekten zu schützen: „Da sich die meisten Eiskristalle in der Milz der Fische ansammeln, nehmen wir an, dass es einen Mechanismus gibt, um sie aus dem Kreislauf zu entfernen“, sagt Cheng. Die Erkenntnisse verweisen ihr zufolge auf ein grundlegendes Prinzip der Evolution: „Anpassungen sind meist mit Kompromissen verbunden: Jede evolutionäre Innovation kommt vermutlich auch mit Nachteilen einher“, so die Forscherin.
(PNAS, 2014; doi: 10.1073/pnas.1410256111)
(Cziko et al., PNAS, 23.09.2014 – MVI)