Verhaltensforschung

Fledermäuse „surfen“ auf Sturmfronten

Warme Rückenwinde erleichtern den Tieren lange Wanderungen

Großer Abendsegler
Weibliche Große Abendsegler nutzen auf ihren Wanderungen die warmen Rückenwinde von Sturmfronten. © Kamran Safi / Max Planck Institute of Animal Behavior

Himmlisches „Hang Loose“: Wandernde Fledermäuse machen sich auf ihren Reisen quer durch Europa offenbar Sturmfronten zunutze, wie Biologen jetzt herausgefunden haben. Die Langstreckenflieger brechen demnach vermehrt auf, kurz bevor Stürme aufziehen, um dann mithilfe warmer Rückenwinde Energie beim Fliegen zu sparen, wie das Team in „Science“ berichtet. Doch denen, die zu lange auf die perfekte Sturmfront warten, kann diese Geduld auch zum Verhängnis werden.

Jedes Jahr begeben sich Milliarden von Zugvögeln auf anstrengende Wanderungen. Doch sie sind nicht die einzigen Langstreckenflieger im Tierreich: Auch einige Fledermausarten legen alljährlich enorme Strecken zurück, um zum Beispiel ihre Winterquartiere zu erreichen oder ihre Jungen zur Welt zu bringen. Doch obwohl einige der frühesten Berichte über solche Fledermauswanderungen bereits über 100 Jahre alt sind, wissen wir immer noch überraschend wenig über das Zugverhalten der nachaktiven Säugetiere.

Besenderung
Der kleine Sender am Rücken der Tiere übermittelte täglich Daten. © Christian Ziegler / Max Planck Institute of Animal Behavior

Ein Mini-Sender für Mini-Flieger

Unter anderem fehlte bislang geeignete Technik, um die zum Teil nur wenige Gramm schweren Flugkünstler auf ihren Reisen zu tracken. Doch Forschende um Edward Hurme vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell am Bodensee haben nun einen Sender entwickelt, der gerade einmal 1,2 Gramm wiegt. Der ultraleichte Tracker sammelt durchgehend Daten über Standort, Aktivität und Umgebungstemperatur der Fledermäuse und übermittelt diese Infos automatisch einmal am Tag.

Auf diese Weise konnten Hurme und sein Team nun die Wanderung von 71 weiblichen Großen Abendseglern (Nyctalus noctule) so genau verfolgen wie nie zuvor. Die maximal 30 Gramm schweren Tiere verbringen den Sommer in Nordeuropa und überwintern in einer Reihe von südlichen Gebieten, wo sie bis zum Frühjahr ihren Winterschlaf halten. Auf ihrer Rückreise in den Norden sind die Weibchen in der Regel trächtig.

Um ihre Wanderbewegungen im Detail nachvollziehen zu können, brachten die Forschenden drei Jahre lang in jedem Frühjahr Sender an Weibchen in der Schweiz an und verfolgten dann bis zu vier Wochen lang deren Reise nach Nordeuropa.

„Hüpfende“ Wanderung durch Snackpausen

Das Ergebnis: Insgesamt legten die Fledermäuse auf ihren Wanderungen bis zu 1.116 Kilometer zurück. In einer Nacht maßen die Sensoren sogar eine Strecke von 383 Kilometern – eine weitaus größere Entfernung als jemals zuvor aufgezeichnet. Dabei waren die Flugbahnen der Tiere deutlich variabler als bislang angenommen, wie Hurme und seine Kollegen berichten. „Es gibt keinen Migrationskorridor“, sagt Seniorautorin Dina Dechmann. „Wir hatten angenommen, dass die Fledermäuse einem einheitlichen Pfad folgen, aber jetzt sehen wir, dass sie sich überall in der Landschaft in einer allgemeinen nordöstlichen Richtung bewegen.“

Dass sich die Fledermäuse nicht an starre „Luft-Autobahnen“ hielten, lag unter anderem daran, dass sie häufig Zwischenstopps einlegen mussten, um Nahrung aufzunehmen. „Anders als Zugvögel nehmen Fledermäuse nicht zu, um sich auf die Wanderung vorzubereiten. Sie müssen jede Nacht auftanken, so dass ihre Wanderung nicht geradlinig, sondern hüpfend verläuft“, erklärt Dechmann.

Surfeinlagen auf Sturmfronten

Darüber hinaus schienen die Tiere bei der Wahl ihrer Route und ihres Reisestarts penibel auf die aktuellen Umweltbedingungen zu achten. „In bestimmten Nächten sahen wir eine Explosion von Abflügen, die wie ein Fledermausfeuerwerk aussahen“, sagt Hurme. Wie das Team herausfand, sank in diesen Nächten der Luftdruck und die Temperatur schnellte in die Höhe. Mit anderen Worten: Die Fledermäuse flogen ab, bevor Stürme aufzogen.

„Sie ritten auf Sturmfronten und nutzten die Unterstützung durch warme Rückenwinde“, so Hurme. Durch diese Surfeinlagen verbrauchten die Fledermäuse den Sensordaten zufolge deutlich weniger Energie beim Fliegen und erleichterten sich so Teile des Weges. Bislang war dieses Verhalten nur von Zugvögeln bekannt. Bei Fledermäusen ist es nun zum ersten Mal beobachtet worden.

Doch das Warten auf die perfekte Sturmfront konnte den kleinen Langstreckenfliegern auch zum Verhängnis werden. Begannen die trächtigen Weibchen ihre Migration erst spät in der Saison, erhöhte das zunehmende Gewicht des sich entwickelnden Embryos ihre Energiekosten und erschwerte damit ihre Reise.

Neue Wege im Fledermaus-Schutz

Die Erkenntnisse könnten nun dabei helfen, die stark bedrohten wandernden Fledermäuse besser vor Gefahren auf ihren langen Reisen zu schützen. Insbesondere Windräder werden für viele von ihnen zur Todesfalle. „Weitere Studien wie diese werden den Weg für ein System zur Vorhersage der Fledermauswanderung ebnen. Wir können die Fledermäuse schützen, indem wir Windparks dabei helfen, ihre Turbinen in Nächten abzuschalten, in denen Fledermäuse durchziehen“, erklärt Hurme. (Science, 2025; doi: 10.1126/science.ade7441)

Quelle: Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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