Pionier der Evolution: Schon vor 160 Millionen Jahre besaß ein Flugsaurier einen opponierbaren Daumen, wie sein in China entdecktes Fossil belegt. Er ist damit das älteste bekannte Tier mit dieser wichtigen biomechanischen Anpassung. Der den Fingern gegenüberstehende Daumen ermöglicht gezieltes Greifen und war bislang fast nur von Säugetieren bekannt. Der Pterosaurier hat den Daumen vermutlich als Anpassung an das Baumleben entwickelt.
Unser Daumen ist eine geniale Erfindung der Evolution. Weil er um 139 Grad gedreht ist und den Fingern gegenübersteht, können wir mit unserer Hand selbst feine Greifbewegungen durchführen. Ein solcher opponierbarer Daumen kommt unter den Wirbeltieren vor allem bei den Primaten vor, aber auch einige Chamäleons und Baumfrösche besitzen diese Anpassung. Die meisten anderen Reptilien und auch die Dinosaurier besitzen dagegen Daumen, die zwar abgesetzt, aber nicht voll opponierbar sind.
Ein Flugsaurier aus dem Jurazeitalter
Jetzt haben Forscher um Xuanyu Zhou von der Geowissenschaftlichen Universität Peking ein Fossil entdeckt, das den bislang ältesten opponierbaren Daumen bei einem Wirbeltier zeigt. Es handelt sich um das rund 160 Millionen Jahre alte Fossil eines Flugsauriers, das in der Tiaojishan-Gesteinsformation der chinesischen Provinz Liaoning gefunden wurde. Der Kunpengopterus antipollicatus getaufte Pterosaurier hatte eine Flügelspannweite von rund 85 Zentimetern.
„Die Finger dieses Fossils sind winzig und teilweise in die Gesteinsplatte eingesunken“, berichtet Koautorin Fion Waisum Ma von der University of Birmingham. „Aber dank Mikro-Computertomografie können wir durch das Gestein sehen und digitale Modelle erstellen. Sie zeigen uns, wie der Daumen zu den anderen Fingerknochen steht.“
Daumen steht anderen Fingern gegenüber
Die Analysen enthüllten: Anders als alle anderen Flugsaurier hat Kunpengopterus einen opponierbaren Daumen. „Das auffallendste Merkmal der neuen Art ist, dass sein Daumen auf beiden Seiten in einer opponierten Position konserviert ist: Die Innenseite des Daumens ist der Innenseite der anderen Finger zugekehrt“, berichten die Forscher. „Das ist der älteste bekannte Beleg für eine solche echte Opponierbarkeit im Tierreich – und der erste bei Pterosauriern.“
Anders als bei uns Primaten scheint der Daumen des Flugsauriers aber nicht sehr beweglich gewesen zu sein. Während wir unseren Daumen drehen können, so das er je nach gewünschtem Griff mal neben den Fingern steht, mal ihnen gegenüber, war der Daumen des Pterosauriers offenbar in der Gegenstellung festgewachsen: „Bei Kunpengopterus antipollicatus gibt es keine Anzeichen für eine Mobilität“, so das Forschungsteam.
Anpassung ans Leben in tropischem Wald
Zhou und seine Kollegen vermuten, dass der Pterosaurier diese spezielle Daumenform in Anpassung an seine Lebensweise entwickelt hat. Denn er lebte in einem Gebiet, das im mittleren Jura von einem üppigen tropischen Wald bedeckt war. „Dieser Urzeitwald war die Heimat vieler Tierarten, darunter auch drei Gattungen von Flugsauriern“, berichtet Zhou. Viele dieser Tiere lebten auf und in den Bäumen, darunter mehrere Arten früher Gleitsäuger, aber auch Reptilien.
Der Flugsaurier Kunpengopterus könnte seine opponierbaren Daumen entwickelt haben, weil er inmitten dieser starken Konkurrenz eine ganz bestimmte, sich von anderen unterscheidende Nische besetzte, erklären die Forschenden. (Current Biology, 2021; doi: 10.1016/j.cub.2021.03.030)
Quelle: University of Birmingham