Neurobiologie

Forscher enträtseln Fliegenhirn

Neue Methoden decken Verschaltung von Nervenzellen auf

Blick ins Fliegenhirn: Mit modernsten Mikroskopie-Methoden beobachten Neurobiologen die Aktivität von Nervenzellen, während die Fliege bewegte Muster sieht und verarbeitet (links). Mit dieser Technik können erstmals einzelne Zellen in dem Gehirnbereich beobachtet werden, der bei Fliegen für das Bewegungssehen zuständig ist (rechts, Maßstab: 20 Mikrometer). © Reiff / MPI für Neurobiologie

Die winzigen Gehirne von Fliegen verarbeiten visuelle Bewegungen in Sekundenbruchteilen. Wie die Nervenzellen dazu verschaltet sind, ist auch nach über 50 Jahren Forschung ein Rätsel. Jetzt haben Max-Planck-Wissenschaftler erstmals die technischen Voraussetzungen geschaffen, um die grundlegenden Mechanismen im Fliegengehirn zu entschlüsseln. Erste Untersuchungen mit den neuen Methoden zeigen: es gibt noch viel zu tun, bis der Bewegungsdetektor im Fliegenhirn endgültig enträtselt ist.

Bereits 1956 wurde ein mathematisches Modell entwickelt, das sehr genau beschreibt, wie Bewegungen im Gehirn von Fliegen erkannt und verarbeitet werden. Zahllose Versuche haben über die Jahre alle Annahmen dieses Modells bestätigt. Dennoch ist nach wie vor unbekannt, welche Nervenzellen in welcher Weise im Fliegenhirn miteinander verbunden sind, sodass sie wie im Modell arbeiten.

„Uns fehlten einfach die technischen Möglichkeiten, um einzelne Zellen und ihre Verbindungen in diesem Fliegen-Hochleistungscomputer zu untersuchen“, sagt Dierk Reiff vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried. Das überrascht nicht, bedenkt man wie winzig der für das Bewegungssehen zuständige Bereich des Fliegenhirns ist: In einem Sechstel Kubikmillimeter Gehirn befinden sich über 100.000 Nervenzellen – und jede Zelle ist mehrfach mit ihren Nachbarzellen verbunden. Hier die Reaktion einer einzelnen Nervenzelle auf einen bestimmten Bewegungsreiz herauszufiltern, scheint nahezu unmöglich. Doch genau das haben die Neurobiologen nun geschafft.

Das Fliegenhirn – besser als jeder Computer

Im Prinzip kann die elektrische Aktivität einzelner Nervenzellen mit feinsten Elektroden gemessen werden. Für diese Methode sind jedoch fast alle zu untersuchenden Nervenzellen im Gehirn der Fliege viel zu klein. Doch gerade dem Fliegenhirn wollten die Forscher seine Geheimnisse entlocken. Zum einen ist hier das Modell des Bewegungssehens am besten erforscht. Zum anderen sind die vergleichsweise wenigen Nervenzellen der Fliege hochspezialisiert und verarbeiten die Bilderflut während des rasanten Fluges mit unglaublicher Präzision.

So können Fliegen eine Vielzahl von Informationen über Eigen- und Umweltbewegung in Echtzeit verarbeiten – etwas, dass so kein heute existierender Computer leisten könnte, erst recht nicht, wenn er so winzig wie im Fliegenhirn wäre. Ein klarer Anreiz also, das System zu entschlüsseln.

Fluoreszenz-Moleküle und modernste Mikroskope

„Wir mussten einen Weg finden, die Aktivität dieser Nervenzellwinzlinge ohne die Hilfe von Elektroden zu beobachten“, beschreibt Reiff eine der Herausforderungen. Diese Hürde nahmen die Forscher nun durch den Einsatz modernster genetischer Methoden bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster.

Es gelang den Forschern, einzelne Nervenzellen der Fruchtfliege mit einem Indikator-Molekül auszustatten. TN-XXL macht durch Änderung seiner Fluoreszenzeigenschaften die Aktivität von Nervenzellen sichtbar. Um nun zu untersuchen, wie Fruchtfliegenhirne Bewegungen verarbeiten, zeigten die Neurobiologen den Fliegen sich bewegende Streifenmuster auf einem Leuchtdioden-Bildschirm. Die Nervenzellen im Gehirn der Fliegen reagierten auf diese LED-Lichtreize mit Aktivität, was wiederum zu Änderungen im Leuchtverhalten des Indikator Moleküls führte.

Obwohl TN-XXL deutlich heller ist als bisherige Indikator-Moleküle, war es lange Zeit unmöglich, die immer noch sehr geringe Lichtmenge einzufangen und vom LED-Lichtreiz zu trennen. Nach einigem Tüfteln fand Reiff jedoch die Lösung, indem er das Zwei-Photonen-Laser-Mikroskop mit dem LED-Bildschirm im Genauigkeitsbereich von Mikrosekunden synchronisierte. So konnte das TN-XXL Signal vom LED-Licht getrennt und vom Zwei-Photonen-Mikroskop selektiv gemessen werden.

Die Zellen hinter dem Modell

„Nach über 50 Jahren haben wir nun endlich die technischen Möglichkeiten geschaffen, um den zellulären Aufbau des Bewegungsdetektors im Fliegenhirn zu untersuchen“, sagt Alexander Borst, der mit seiner Abteilung am Max-Planck-Institut für Neurobiologie dieses Ziel schon seit Jahren verfolgt.

Wie viel noch zu entdecken ist, zeigte gleich der erste Einsatz der neuen Methoden. Die Wissenschaftler beobachteten die Aktivität von L2-Zellen, die Informationen von den Fotorezeptoren des Auges erhalten. Die Fotorezeptoren reagieren, wenn die Lichtintensität zu- oder abnimmt. Ganz ähnlich sieht die Reaktion der L2-Zelle in dem Zellteil aus, der diese Informationen vom Fotorezeptor aufgreift. Die Neurobiologen fanden nun heraus, dass die L2-Zelle diese Information umwandelt und vor allem Information über Helligkeitsabnahmen an nachfolgende Nervenzellen weitergibt. Diese wiederum errechnen daraus die Bewegungsinformation.

Bewegungsdetektor im Fliegenhirn auf der Spur

„Das bedeutet, dass die Information ‚Licht-an‘ von den L2-Zellen herausgefiltert wird“, fasst Reiff die Entdeckung zusammen. „Es bedeutet aber auch, dass ein anderer Zelltyp Licht-an weitergeben muss – die Fliege reagiert ja auf beides.“

Nachdem nun der erste Schritt getan ist, wollen die Wissenschaftler mit den neuen Methoden den Bewegungsdetektor im Fliegenhirn Zelle für Zelle untersuchen und so die Arbeitsweise der beteiligten Nervenzellen aufklären. Auch die Kollegen aus dem gemeinsamen Robotics-Projekt freuen sich schon auf die Ergebnisse.

(idw – Max-Planck-Institut für Neurobiologie, 13.07.2010 – DLO)

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