Wissenschaftlern ist es gelungen, aus Stammzellen menschliches Herzmuskelgewebe zu züchten, das sich genauso stark zusammenziehen kann wie natürliches Gewebe. Damit habe man eine der großen Herausforderungen der Gewebezucht gemeistert, konstatieren die Forscher in der Fachzeitschrift „European Heart Journal“: Aus einzelnen Zellen eine sich synchron zusammenziehende Muskelfaser zu bilden, deren Kraft natürlichem Gewebe entspricht.
Die Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) verwendeten für ihre Studie Stammzellen, die aus ausgewachsenen Haut- oder anderen Körperzellen gewonnen und in den Stammzellzustand zurückversetzt worden waren. Solche induziert pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen können wieder alle Zellen des Körpers bilden. Aus diesen Zellen züchteten die Forscher Herzmuskelzellen als Grundlage für das neue Gewebe. „Herzmuskelzellen sind extrem empfindlich, wenn sie aus ihrem natürlichen Gewebeverband herausgelöst werden“, erklärt Ina Gruh von der MHH, eine der Mitautorinnen der Studie. Deshalb habe man bewusst vermieden, sie wie üblich als einzelne Zellen für die Gewebebildung einzusetzen. Stattdessen wurden die Herzmuskelzellen direkt in dreidimensionalen Aggregaten gezüchtet und aufgereinigt.
Vitamin C und Dehnung fördern Gewebewachstum
„Wir haben herausgefunden, dass diese Aggregate anschließend zu einem strukturell und funktionell gleichmäßigen Zellverband zusammenwachsen können“ , so Gruh. Über 28 Tage beobachteten die Forscher diese Zellverbände bei unterschiedlichen Bedingungen. Dabei stellten sie fest, dass drei Faktoren maßgeblich für die Gewebebildung sind: die Zugabe von Bindegewebszellen und Vitamin C, die den Aufbau der extrazellulären Matrix und die Verschmelzung der Aggregate fördern, und eine zunehmende Dehnung, die die Muskelbildung stimuliert. Für Letzteres entwickelten die Forscher einen speziellen Bioreaktor, in dem die Gewebe eingespannt und dann kontrolliert mechanisch gedehnt wurden.
„Im Gegensatz zu bisherigen Therapieansätzen könnte es mit diesem künstlichen Gewebe möglich sein, vernarbte Strukturen zu ersetzen, wie sie beispielsweise bei einem Herzinfarkt entstehen, oder angeborene Missbildungen des Herzens bei Kleinkindern zu rekonstruieren“, sagt Axel Haverich, Leiter der Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie an der MHH. Bis zu einer klinischen Anwendung sei es aber noch ein langer Weg: Um größere Gewebe zu erzeugen, müssten diese auch mit Blutgefäßen durchzogen sein. Auch die Herstellung der iPS-Zellen und die Sortierung der Herzzellen müsste noch weiter verbessert werden.
Schon in naher Zukunft sollen die erzeugten Herzgewebe jedoch für das Testen von Medikamenten und die Erforschung der Grundlagen verschiedener Herzerkrankungen verwendet werden. So können an den Geweben im Labor zum Beispiel bestimmte mechanische Aspekte von angeborenen Herzerkrankungen und das Regenerationsvermögen des Herzmuskels untersucht werden. (Eur Heart J (2012); doi: 10.1093/eurheartj/ehs349)
(Medizinische Hochschule Hannover, 29.10.2012 – NPO)