Fenster in die Vergangenheit: In Wales haben Paläontologen eine weltweit einzigartige Fossilien-Fundstätte entdeckt – vergleichbar dem berühmten Burgess Shale. Die 462 Millionen Jahre alten Fossilien stammen von mehr als 150 größtenteils winzigen Spezies und sind mitsamt feinster Strukturen wie Nerven, Organen und Anhängen konserviert. Sie geben erstmals Einblick in die Organismenvielfalt im mittleren Ordovizium, einer bisher nur wenig erforschten Zeit.
Ob der Burgess Shale in Kanada, Rhynie Chert in Schottland oder der Solnhofer Plattenkalk in Deutschland: Weltweit gibt es nur eine Handvoll Fossilienfundstätten, in denen ausgestorbene Lebewesen mitsamt ihren Weichteilen und feinsten Details erhalten sind. Doch gerade sie sind essenziell, um Einblicke auch in frühe Lebenswelten zu geben. Erst durch solche Weichteil-Fossilien wissen wir mehr über die exotischen Organismen des Ediacariums oder über die kambrische Explosion.
Nerven, Tentakel und winzige Details
Jetzt haben Paläontologen mit dem walisischen Castle Bank eine weitere dieser einzigartigen Fossillagestätten entdeckt. Sie liegt in einer rund 462 Millionen Jahre alten Gesteinsformation, die einst aus Vulkanasche und feinem Meeresschlamm entstand. Dieses Material schloss eine Vielzahl von kleinen Organismen so dicht ein, dass feinste Details versteinert erhalten blieben, darunter innere Organe, Nervensystem, winzige Tentakel und andere Körperanhänge.
Bisher hat das Team um Joseph Botting vom National Museum Wales schon mehr als 150 verschiedene Spezies in Castle Bank identifiziert – alle sind für die Wissenschaft neu. Dabei handelt es sich größtenteils um winzige, nur wenige Millimeter kleine Meeresbewohner. Einige dieser Arten ähneln frühen Arthropoden oder sogar schon den Insekten, andere sind eher wurmähnlich, gleichen Schwämmen oder Seesternen. „Wir entdecken bei jedem Besuch etwas Neues und manchmal etwas wirklich Außergewöhnliches“, sagt Botting.
Fenster in das mittlere Ordovizium
Das Spannende daran: Diese Konservat-Lagerstätte stammt aus dem mittleren Ordovizium, einer Zeit, von der bisher nur wenige Fossil-Spezies erhalten geblieben sind. „Es gibt einige Fossillagerstätten aus dem frühen Ordovizium, aber sie sind älter als unsere und selbst in ihnen sind Weichteil-Fossilien rar“, erklärt Botting. „Hier haben wir nun alles.“ Das Ordovizium gilt als das Zeitalter, in dem sich die Vorläufer heutiger Organismengruppen weiter ausdifferenzierten und in der sich die Basis der heutigen Vielfalt entwickelte. Aus den sich noch weitgehend ähnlichen kambrischen Lebenswelten entstanden neue Nischen und Ökosysteme.
„Dieser Fund ist bedeutend, weil er uns ein neues Fenster in diese für die Entwicklung des Lebens so wichtige Zeit öffnet“, erklärt Koautorin Lucy Muir vom National Museum Wales. „Die Fossilien stammen aus der Zeit des ‚Großen Ordovizischen Biodiversifizierungsereignisses‘, als sich die ersten Tiere mit harten Skeletten zu entwickeln begannen. Zum ersten Mal können wir nun auch sehen, was in dieser Zeit mit dem Rest des Ökosystems geschah.“
„Erst der Anfang!“
Noch haben die Paläontologen erst einen kleinen Teil der neuen Fossillagerstätte erkundet und ausgewertet. „Diese Fossilfundstätte wird noch über Jahrzehnte neue Entdeckungen liefern“, sagt Botting. „Dies ist erst der Anfang und wir sind gespannt, was als nächstes kommen wird.“ Schon jetzt sei aber klar, dass diese Fundstätte in Bezug auf ihren Erhaltungszustand und die Fossilienvielfalt mit dem Burgess Shale, Shengjiang und anderen großen Konservat-Lagerstätten vergleichbar sei. (Nature Ecology & Evolution, 2023; doi: 10.1038/s41559-023-02038-4)
Quelle: Amgueddfa Cymru, Chinese Academy of Sciences