Manipuliertes Leben: Erstmals hat ein Bakterium mit zwei zusätzlichen, künstlichen DNA-Basen diese genutzt, um daraus Aminosäuren und ein Protein herzustellen. Die semisynthetische Mikrobe übersetzte den um die Basen X und Y angereicherten Gencode in Aminosäuren, die es normalerweise nicht produzieren kann, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Damit haben sie nicht nur das Alphabet des Lebens von vier auf sechs Buchstaben erweitert, sie haben es auch erstmals praktisch genutzt.
Seit Entstehung des Lebens auf der Erde nutzt die Natur vier Buchstaben für ihr Lebensalphabet: Die genetische Information in der DNA aller Organismen wird über vier DNA-Basen kodiert – Guanin, Cytosin, Thymin und Adenin. Doch bereits im Jahr 21014 gelang es Forschern am Scripps Institute in Kalifornien, diesen Lebenscode zu erweitern. Sie setzten in das Erbgut des Darmbakteriums Escherichia coli zwei zusätzliche, künstliche Basen ein – X und Y.
„Frankenstein“-Mikrobe produziert Proteine
Anfang dieses Jahres gelang Floyd Romesberg und seinem Team ein weiterer Durchbruch: Die semisynthetischen Bakterien mit den sechs Genbuchstaben im Erbgut gaben die künstlichen DNA-Basen auch an ihre Nachkommen weiter. Bei jeder Zellteilung entstanden so neue „Frankenstein“-Mikroben.
Jetzt ist dem Team auch der letzte, entscheidende Schritt gelungen: Sie schleusten die beiden künstlichen DNA-Basen in proteinkodierende Gene ihrer Bakterien ein – und brachten diese dazu, aus diesen manipulierten Bauanleitungen völlig neue, in der Natur nicht vorkommende Aminosäuren zu produzieren. Diese bauten die Zellen in ein halbkünstliches Protein ein.
„Ich würde diese noch nicht eine neue Lebensform nennen, aber es näher dran als alles zuvor Erschaffene“, sagt Romesberg. „Dies ist das erste Mal, dass eine Zelle ein Protein auf Basis von etwas anderem als nur G, C, A und T produziert.“
Transkription und künstliche Codons
Damit aus einem Gen ein Protein entsteht, muss eine Zelle zwei Übersetzungsschritte durchführen. Im ersten Schritt, der Transkription, wird der Basencode der DNA auf eine Transport-RNA kopiert. Diese bringt die genetische Bauanleitung aus dem Zellkern zu den Proteinfabriken der Zelle, den Ribosomen. Auch die halbkünstlichen Bakterien absolvierten diesen Schritt – sie kopierten die beiden künstlichen Basen genauso auf die RNA wie die natürlichen.
Im zweiten Schritt, der Translation, wird der genetische Code entziffert: Jeweils drei aufeinanderfolgende Basen stehen für eine bestimmte Aminosäure. Die Abfolge dieser Codons bestimmt damit die Struktur des produzierten Proteins. Durch die Erweiterung des DNA-Codes beim manipulierten Bakterium entstanden Codons, die es in der Natur nicht gibt.
Übersetzung in nichtkanonische Aminosäuren
Dennoch lasen die Ribosomen des Bakteriums diese unnatürlichen Codons aus. Sie stellten daraus Aminosäuren zusammen, die nicht zum normalen Kanon der 20 in Proteinen verwendeten Aminosäuren gehörten. Diese nichtkanonischen Aminosäuren kombinierten die Bakterien anschließend mit „normalen“ Aminosäuren zu einem grün fluoreszierenden Protein.
„Seit Anbeginn des Lebens sind Proteine durch die Entzifferung von Codons im vier-Basen-Alphabet produziert worden“, so die Forscher. „Wir haben nun demonstriert, dass neue Codons auf Basis eines erweiterten genetischen Alphabets genutzt werden können, um nichtkanonische Aminosäuren in Proteine einzubauen. Das ist eine kleine Veränderung in der Art, wie Leben funktioniert – aber ist es die erste überhaupt.“
„Plattform für neue Lebensformen“
Damit haben die Forscher erstmals einen Organismus erschaffen, dessen Erbinformation nicht nur ein erweitertes Alphabet nutzt – er produziert auf Basis dieser Information auch ganz neue Moleküle. „Solche Organismen könnte als Plattform dienen, um neue Lebensformen und Funktionen zu kreieren“, konstatieren die Forscher.
So könnten aus einer DNA mit sechs DNA-Basen 152 verschiedenen Aminosäuren produziert werden statt der normalen 20. In einem noch unveröffentlichten Experiment haben die Wissenschaftler bereits ihre künstlichen Basen genutzt, um die Resistenz von Bakterien gegenüber Antibiotika zu beeinflussen. Möglich wäre es auch, beispielsweise medizinische Wirkstoffe zu erzeugen, die besser verträglich oder leichter abbaubar sind. „Ich fühle mich ein wenig wie ein Kind in einem Süßwarenladen“, sagt Romesberg.
Gefahr für die Natur?
Schon die früheren Versionen dieser „Frankenstein“-Mikroben warfen die Frage auf, wie riskant solche Manipulationen am Code des Lebens sind. Könnten auf diese Weise ungewollt Organismen geschaffen werden, die nicht mehr kontrollierbar sind? Was passiert, wenn solche semisynthetischen Bakterien in die Umwelt gelangen und sich dort möglicherweise vermehren?
Diese Gefahr bestehe nicht, betonen Romesberg und seine Kollegen. Denn ihr semisynthetisches Bakterium kann die beiden künstlichen Basen nur dann herstellen, wenn es bestimmte, in der Natur nicht vorliegende Nährstoffe bekommt. Fehlen diese, werden die X- und Y-Basen in der nächsten Generation nicht produziert und der genetische Code kehrt zum natürlichen Zustand zurück. (Nature, 2017; doi: 10.1038/nature24659)
(Scripps Research Institute, 01.12.2017 – NPO)