Neurobiologie

Gähnen kühlt das Gehirn

Gähnfrequenz von Menschen variiert mit Temperaturunterschieden

Gähnen ist nicht nur ansteckend, es kühlt auch das Gehirn © Kathi Strahl / pixelio

Gähnen ist nicht nur ein Zeichen der Müdigkeit: Es hilft auch, die Temperatur unseres Gehirns zu regulieren. Darauf deuten Experimente von Forschern in Österreich und den USA hin. Denn wie sie feststellten, ist die ansteckende Wirkung des Gähnens temperaturabhängig. Offenbar trägt das tiefe Atmen und Mundöffnen dazu bei, unser Denkorgan zu kühlen, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler.

Warum gähnen wir? Wir neigen zum Gähnen, bevor wir schlafen gehen oder nach dem Aufwachen, wenn wir uns langweilen oder uns die Inspiration fehlt. Wir gähnen in Erwartung wichtiger Ereignisse und unter Stress. Aber was haben diese Situationen gemeinsam? Bisher vermutete man, dass das Gähnen die Sauerstoffzufuhr erhöht und damit dabei hilft, das Gehirn zu versorgen. Allerdings haben Studien einen Zusammenhang zwischen Gähnen und erhöhtem Sauerstoffgehalt im Blut nicht bestätigt.

Forscher aus den USA und von der Universität Wien hatten jedoch einen anderen Grund für das Gähnen im Verdacht: die Temperaturregulation. Denn Schlafen, Erregung und Stress verändern die Temperatur unseres Gehirns, bei Stress läuft es „heiß“, im Schlaf kühlt es eher ab. Möglicherweise, so die Hypothese der Forscher, müssen wir bei Müdigkeit und Stress deshalb gähnen, weil dies die Temperaturunterschiede ausgleicht und für optimale Temperierung unseres Denkorgans sorgt.

Gähneffekt ist temperaturabhängig

Jorg Massen und Kim Dusch von der Universität Wien haben diese Hypothese nun überprüft. Dabei gingen sie von der Annahme aus: Wenn Gähnen der Kühlung dient, dann müsste sich die Gähnhäufigkeit durch die vorgegebene Umgebungstemperatur manipulieren lassen. Für ihr Experiment zeigten sie 120 Passanten auf den Straßen Wiens eine Reihe von Bildern gähnender Menschen. Dann beobachteten sie, wie schnell und häufig sich die Personen durch diese Bilder zum Gähnen verleiten ließen – denn Gähnen wirkt bekanntlich ansteckend.

Das Ergebnis: Im Sommer gähnten die Passanten deutlich mehr als im kühleren Winter. Am stärksten war der Gähneffekt bei Temperaturen um die 20 Grad, wie die Forscher berichten. Ähnliches stellten auch ihre Kollegen in den USA fest: Ihre Probanden gähnten im Winter häufiger – dann, wenn es in Arizona milde 20 Grad hat. Bei großer Hitze oder extremer Kälte dagegen nahm der Gähnreiz deutlich ab.

Am häufigsten bei Raumtemperatur

„Gähnen als Thermoregulation für das Gehirn kann nicht funktionieren, wenn die Umgebungstemperatur und Körpertemperatur gleich hoch sind“, erklärt Massen. Dann bringt der Zustrom der Luft weder Kühlung noch Wärme. Deshalb löst der Körper dieses Verhalten offenbar besonders dann aus, wenn die Luft zwar kühl genug ist, um einen Kühlungseffekt zu erzeugen, aber nicht so kalt, dass Unterkühlung droht.

Diese Ergebnisse zeigen demnach, dass Gähnen nicht nur ein Ausdruck von Müdigkeit oder sozialer Ansteckung ist, sondern einen handfesten körperlichen Nutzen hat: Es hilft dabei, die Temperatur unseres Gehirns zu regulieren. Wenn Sie im Büro mal wieder gähnen müssen, wissen Sie zumindest eins: Die Raumtemperatur ist (mit-)schuld. (Physiology & Behaviour, 2014; doi: doi: 10.1016/j.physbeh.2014.03.032)

(Universität Wien, 06.05.2014 – NPO)

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Himmelsscheibe von Nebra

Wie die Himmelsscheibe geschmiedet wurde

War die frühe Venus doch keine zweite Erde?

UV-Strahlung in Mitteleuropa hat zugenommen

Wie viel Strom verbrauchen E-Autos wirklich?

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Krankmacher Stress - Welche Spuren hinterlässt die psychische Belastung in unserem Körper?

Bücher zum Thema

Im Fokus: Neurowissen - Träumen, Denken, Fühlen - Rätsel Gehirn von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann

150 psychologische Aha-Experimente - Beobachtungen zu unserem eigenen Erleben und Verhalten Von Serge Ciccotti

Eine kurze Reise durch Geist und Gehirn - von Vilaynur S. Ramachandran

Top-Clicks der Woche