US-Forscher könnten dem rätselhaften Gedächtnis der Pflanzen auf die Spur gekommen sein: Sie haben erstmals entdeckt, dass sich bestimmte Pflanzenproteine in Prionen umwandeln können. Diese Moleküle können nicht nur Informationen speichern und übertragen, sie beeinflussen auch Anlagerungen im Erbgut – und könnten so die Basis des Pflanzengedächtnisses bilden, so die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Pflanzen haben nach gängiger Lesart kein Gehirn, keine Nerven und können schon gar nicht denken. Aber trotzdem scheinen diese vermeintlich gefühl- und bewusstseinslosen Wesen eine Art Gedächtnis zu besitzen. Sie merken sich beispielsweise vergangene Kälteperioden und richten ihren Blühzeitpunkt danach und die fleischfressende Venusfliegenfalle kann sogar zählen und sich das Ergebnis merken.
Aber wie ist dieses Gedächtnis zu erklären? Womit merkt die Pflanze sich vergangene Erfahrungen? Biologen vermuten, dass epigenetische Veränderungen hinter dem Pflanzengedächtnis stecken – vererbbare Anlagerungen am Erbgut, die beeinflussen, welche Gene abgelesen werden. Doch wie diese epigenetischen Muster angelegt und kontrolliert werden, bleibt bisher rätselhaft.
Prionen als Gedächtnis-Helfer?
Sohini Chakrabortee vom Whitehead Institute for Medical Research in Cambridge und ihre Kollegen haben nun erstmals Indizien dafür aufgedeckt, dass Prionen eine entscheidende Rolle für das Pflanzengedächtnis spielen könnten. Diese fehlgefalteten Proteine gelten als Überträger von degenerativen Gehirnerkrankungen wie dem Rinderwahnsinn BSE, aber auch der Creutzfeld-Jacob-Krankheit beim Menschen.
Doch Prionen haben in vielen Organismen auch nützliche Funktionen: „In Säugetieren sind Prionen-ähnliche Proteine an der Signalübertragung im Immunsystem und bei Entzündungen beteiligt“, erklären Chakrabortee und ihre Kollegen. Bei Hefen und anderen Pilzen dienen sie als eine Art proteingestütztes Signalsystem und Gedächtnis, indem sie ihre spezifische Faltstruktur auf andere Proteine übertragen.
Verdächtige Abschnitte in knapp 500 Proteinen
Für ihre Studie fahndeten die Wissenschaftler gezielt nach Proteinen in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana, die prionenähnliche Abschnitte besitzen. Und tatsächlich: Bei mehr als 500 Proteinen wurden sie fündig. „Auffallend war, dass vier von acht Proteinen im autonomen Blüh-Signalweg solche Priondomänen enthielten“, berichten die Forscher. Dieser Signalweg kontrolliert den Blühzeitpunkt – und damit genau den Aspekt, der von „gemerkten“ Erfahrungen beeinflusst wird.
Um herauszufinden, ob diese Priondomänen dazu fähig sind, echte Prionen zu produzieren und ihre Faltung auch auf andere Proteine zu übertragen, setzten die Forscher diese pflanzlichen Proteinabschnitte in Hefen ein. An ein bestimmtes Hefe-Protein gekoppelt, müsste das aktive Pflanzenprion dafür sorgen, dass die Hefe trotz einer fehlenden Substanz im Nährmedium weißliche Kolonien bildet – und das über mehrere Generationen hinweg. Ist das Protein kein echtes Prion, bleiben die Hefekolonien dagegen rot.
Aktive Prionen aus dem Pflanzenprotein
Das Ergebnis: Mit einem der eingeschleusten Pflanzenproteine wuchsen tatsächlich weiße Hefekolonie auf dem Testmedium, wie die Forscher feststellten. Das aus der Ackerschmalwand stammende Protein Luminidependens (LD) hatte demnach echte Prionen gebildet, die die Wachstumseigenschaften der Hefe beeinflussten. Dieser Einfluss hielt zudem über mehrere Generationen an.
„Das ist unseres Wissens nach der erste Nachweis, dass mindestens ein pflanzliches Protein die Fähigkeit hat, als Prion zu fungieren“, konstatieren die Forscher. „Die Priondomäne des Lumidependens-Proteins umfasst eine sich selbst-replizierende Struktur, die die Funktion angrenzender Domänen in einer stabilen und vererbbaren Weise verändern kann.“
Molekulares Gedächtnis der Pflanze
Nach Ansicht der Forscher könnte dies dafür sprechen, dass das Gedächtnis der Pflanzen zumindest zum Teil auf solchen Prionen basiert. „Denn mit ihrer Hilfe kann die Pflanze proteinbasierte molekulare Erinnerungen bilden“, so Chakrabortee und ihre Kollegen. Zumindest vom LD-Protein und zwei weiteren Blühproteinen ist bereits bekannt, dass sie sich an die DNA anlagern können. Auf diese Weise könnten sie die Epigenetik verändern und so die pflanzlichen Erinnerungen formen.
Wie genau das LD-Protein und seine Genossen jedoch beispielsweise die Erinnerung an Kältezeiten speichern und wie das Umschalten vom Protein zum aktiven Prion geschieht, muss nun noch enträtselt werden. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1604478113)
(PNAS, 26.04.2016 – NPO)